Rezension

Geschichte live

Gott der Barbaren - Stephan Thome

Gott der Barbaren
von Stephan Thome

Bewertet mit 4 Sternen

Stephan Thome hat sich ein komplexes Thema vorgenommen. Wie kam es zum Opiumkrieg in China und was genau passierte in der Zeit von ca. 1850-1860, das Millionen von Chinesen das Leben kostete?
Während in China ein erbitterter Bürgerkrieg tobt, dringen die Engländer dort auf Handelsrechte. Sie wollen Niederlassungen, Botschaften und die Erlaubnis, indisches Opium zu verkaufen. Kaiser Hsienfeng möchte nichts mit den Barbaren zu tun haben und legt ihnen Steine in den Weg, wo er nur kann. 

Das ist die Grundsituation, was sich daraus ergibt ist blanker Wahnsinn. 
Feinfühlig und nachvollziehbar werden die unterschiedlichen Positionen dargelegt. Hier kommt jeder zu Wort. 

Lord Elgin, Sonderbotschafter der britischen Krone, will nur friedlich verhandeln, aber wenn die verstockten Chinesen nicht reagieren, muss er sie wohl mit Waffengewalt wachrütteln. 
Der erhabene Kaiser ist krank und muss sich mit den langhaarigen Rebellen herumschlagen. Merkwürdige Drohbriefe der Engländer liest er gar nicht erst. 
Die Rebellen beflügelt ein hehres Ziel. China muss befreit werden von der dekadenten Mongolenherrschaft. Allerdings verschwimmt das Anliegen durch den Größenwahn und die religiöse Verblendung ihres Anführers. Der Himmlische König hat sich aus missionarischen christlichen Texten eine ganz eigene Weltanschauung gebaut, in der er Jesus jüngerer Bruder ist und ein neues Gottesreich errichten will. 
Dagegen geht Zeng Guofan erbittert vor. Eigentlich ist er ein Gelehrter, aber die läppischen Verteidigungsversuche des Kaisers erfordern Eigeninitiative. Seine Hunan Armee ist die schlagkräftigste Truppe im Reich. 
Phillipp Johann Neukamp, ein deutscher Abenteurer, der zufällig als Missionar nach China kam, treibt die missionarische Borniertheit seiner Kollegen ins chinesische Lager. 
Zwischendurch liest man noch im Tagebuch des Mädchens Shuhua, was das Volk dabei zu erleiden hat. 

Jede dieser Perspektiven ist ein eigenes Buch wert, hier bekommt man sie alle auf einmal, was das Buch vielschichtig macht, leichte Kost ist es nicht. Obwohl es wunderbar erzählt ist, habe ich lange gebraucht, um in diesem Buch anzukommen. Bisweilen ist man fast erschlagen von der Informationsflut, erschauert gleichzeitig vor Ehrfurcht vor dieser unglaublichen Rechercheleistung. 
Es hätte durchaus Kürzungen vertragen. Lord Elgins Monologe sind amüsant, aber unendlich weitschweifig. Die ein oder andere Truppenbewegung hätte man auch vernachlässigen können. 

Am Ende fragt man sich, wer denn nun wohl die Barbaren sind. Hier wird sinnloses Massenschlachten dokumentiert. Es prallen Welten aufeinander, die unvereinbar sind und doch eins gemeinsam haben. Westliche Arroganz trifft auf fernöstliche Ignoranz, niemand schaut über den Tellerrand, hat nur die eigenen Interessen im Blick. Es rollen Köpfe bei Freund und Feind. 

Auch wenn ich gelegentlich etwas beißen musste, bin ich beeindruckt von diesem Buch. Es ist unterhaltsam, höchst informativ und wunderbar lebendig erzählt. Ich habe viel gelernt. 
Wenn man auf der Suche nach dem perfekten historischen Roman ist, dann sollte man dieses Buch unbedingt auf die Liste setzen. „Gott der Barbaren“ ist Geschichte live.