Rezension

Drei Jugendliche und ihre Sicht auf Afrika

Bo - Rainer Merkel

Bo
von Rainer Merkel

Bewertet mit 4 Sternen

Wenn etwas schief geht, dann aber auch komplett. Der dreizehnjährige Benjamin sollte seine Ferien in Liberia verbringen, wo sein Vater für die GTZ arbeitet. Er würde in dieser Zeit nicht arbeiten und sich Zeit für seinen Sohn nehmen, hatte der Vater versprochen. Kurz vor der Ankunft verbaselt Benjamin seinen Pass und auch der Vater ist nicht wie verabredet am Flugplatz in Monrovia. Wie ein illegaler Einwanderer schlägt sich Benjamin nun durch ein Land im Bürgerkrieg, über das er nicht viel mehr weiß, als dass er sich als Weißer gegen die Sonne und gegen Moskitos schützen soll. Rothaarig und blass mag Ben auf die Einheimischen wie ein Außerirdischer wirken. Seine ungefähr gleichaltrigen Gefährten bei diesem Abenteuer sind der blinde Liberianer Bo und das Mädchen Brilliant, die aus Liberia stammt und inzwischen in den USA lebt. Ohne Bo und Brilliant wäre Benjamin aufgeschmissen in einem Land, in dem an jeder Ecke kleine Ganoven lauern und Dinge verschwinden, um an anderen Orten wieder aufzutauchen. Man kann sich leicht skurrile Situationen mit Bo vorstellen, wenn er unerwartet andere betastet, um mit seinen Händen zu sehen.

Einige Tage nach seiner Ankunft lernt Ben ein paar weiße Mitarbeiter von Ärzte ohne Grenzen kennen. Wer in Liberia für ausländische Hilfsorganisationen arbeitet, kennt sich untereinander. So sollte es kein Problem sein, Kontakt zu Benjamins Vater herzustellen, nimmt der naive europäische Leser an. Benjamins Bekannte Emily aus dieser Mediziner-Clique sorgt sich um ihren verschwundenen Kollegen Barneby, der als Psychiater im einzigen psychiatrischen Krankenhaus des Landes gearbeitet hatte. Benjamin übernachtet im Zimmer des Mannes und liest dessen Tagebucheintragungen. Barnebys Gedanken geben Anlass zu großer Sorge um den Mann. Außer dem Psychiater wird auch die Patientin Flower aus dem psychiatrischen Krankenhaus vermisst, die die Jugendlichen nun gemeinsam suchen. Da Flowers Großvater ebenfalls Psychiater ist, weiß das Mädchen, dass Afrikaner psychische Erkrankungen immer noch gern von traditionellen Heilern behandeln lassen. Den Kindern ist zunächst unklar, ob Flower einfach in ihr Heimatdorf gereist ist oder ob sie sie aus den "Fängen düsterer Mächte" befreien müssen.

Reiner Merkel lässt drei Pubertierende unterschiedlicher Herkunft sich gemeinsam in Afrika durchschlagen. Die Jugendlichen bringen ihre persönlichen Sichtweisen auf Afrika in das Abenteuer ein: ein Einheimischer, der nicht sehen kann, ein Mädchen, das vielleicht nur noch äußerlich schwarz ist, weil es lange im Ausland gelebt hat, und ein junger Deutscher, der sein geringes Wissen über das Land noch nicht mit der Realität zur Deckung bringen kann. Durch Bens Erleben werden Verständigungsprobleme der Kulturen deutlich, selbst in einer gemeinsamen Sprache. Ben erlebt beim Schwimmen im Meer nur am Rande ein Afrika aus dem Reiseprospekt. Tatsächlich besteht sein Aufenthalt zum großen Teil aus schnödem Überleben mit der Suche nach Pass, Trinkwasser oder einem Schlafplatz. Benjamin, zu dem innere Stimmen sprechen, dient Lesern des Buches als Vermittler für Europäer ungewohnter Vorstellungen aus dem Bereich des Aberglaubens. Hinter Bens unvoreingenommenem Blick auf die weißen Erwachsenen, die sich mit Wachleuten und hohen Mauern umgeben und glauben, nur sie allein könnten das Land retten, steht ein Autor mit genauer Kenntnis dieser Verhältnisse. Die abenteuerliche Suche nach Flower vermittelt sehr eingängig, welch unterschiedlichen Krankheitsbegriff Weiße und Einheimische jeweils nutzen. Als sich - sehr spät - aufklärt, warum Benjamins Vater so lange nicht zu erreichen war, hat der Junge sich mit seinem Überlebenskünstler-Team erfolgreich allein durchgeschlagen und sogar zum ersten Mal ein Mädchen geküsst.

Den Abenteuern von Merkels jugendlichem Dreier-Team bin ich gern gefolgt. Der Autor räumt seinen jugendlichen Figuren Privatsphäre ein, indem er manches der Vorstellung des Lesers überlässt. Meine Vorstellung, ein Roman mit Schauplatz Afrika würde meine Linse schärfen, durch die ich auf ein Land sehe, hat sich in dieser umfangreichen Abenteuergeschichte nur teilweise und erst sehr spät erfüllt. Das kritisiere ich ausdrücklich nicht, jedoch die Länge des Romans.