Rezension

Spannender Einblick in das elisabethanische Zeitalter

Im Schatten der Königin - Tanja Kinkel

Im Schatten der Königin
von Tanja Kinkel

Bewertet mit 4.5 Sternen

Ich begann, mich brennend für Elisabeth I. und ihre Zeit zu interessieren, als ich zum ersten Mal mit den Lautenliedern von John Dowland in Berührung kam. Ironie des Schicksals, dass der Protagonist dieses spannenden Romans für Menschen meines Schlages (Musiker, Schauspieler, Autoren) außer solch erlesenen Ausdrücken wie "Schmarotzer", "nutzloser Schöngeist", "Schmeißfliege" wenig übrig hat. Wir Künstler werden als erbärmliche Bittsteller dargestellt. Unschön, aber wohl einigermaßen realistisch; damals gab's ja noch keine Künstlersozialkasse. Umso netter empfinde ich die augenzwinkernde Solidarität der Autorin mit unserem Berufsstand, denn "Geschreibsel"-Produzenten aller Art sind in Tom Blounts Antipathiekundgebungen ausdrücklich eingeschlossen ...

Aber ich schweife ab.

Königin Elisabeth I. ist noch jung, und es ist noch nicht lange her, dass sie im Tower eingesperrt war und um ihren eigenen Kopf fürchten musste. Nun aber erwartet alle Welt von ihr, dass sie heiratet, um einen Thronerben zu zeugen. Nur - der Richtige muss es sein. Der junge Robin Dudley wäre in den Augen der Königin so ein Wunschkandidat; er ist ihre große Liebe. Unglücklicherweise ist er bereits verheiratet. Da trifft bei Hofe die Schreckensmeldung ein: Robins Frau Amy Robsart wurde ermordet aufgefunden. Robin sendet umgehend seinen Vertrauten Tom Blount nach Cumnor, wo das Furchtbare geschehen ist, um den Fall aufzuklären. Blount erweist sich dabei als ein geschickter Diplomat mit feinem detektivischem Spürsinn. Nur, dass er in Cumnor auf eine Mauer des Schweigens stößt. Und auf jede Menge Ungereimtheiten. Zudem läuft ihm die Zeit davon, denn die Öffentlichkeit hat ihr Urteil, wer der Mörder sein muss, schnell gefällt, und Blount fühlt schon bald auch seinen eigenen Kopf lockerer sitzen. Und er ist nicht der einzige, der Nachforschungen anstellt.

Ich mag Tom Blount. Obwohl ich Musikerin bin ... ("Nein, dieser Kerl gehörte zu den Männern, die einen Patron brauchten, damit ihr Geschreibsel gedruckt werden konnte oder damit ihr Lautengeklimper bei Hof gespielt wurde." -Hmpf...) Wir erleben die Handlung aus seiner Sicht. Nur hin und wieder werfen wir auch einen Blick in die Gedanken der alten Kammerzofe der Königin, die die Ereignisse vom Hofe aus analysiert und beurteilt. Auch sie ist nicht nur einfach Beobachterin, sondern tief in die Vorgänge verstrickt. Die Kapitel, die aus ihrem Blickwinkel geschrieben sind, sind im Kursivdruck gehalten, so dass der Leser gut zwischen ihr und Tom Blount zu unterscheiden vermag. Die benutzte Sprache ist zwar gemäßigt modern, aber Tanja Kinkel schreibt klug und feinsinnig, fühlt sich wunderbar in den Ich-Erzähler ein. Seine lakonisch-trockenen Kommentare zum Geschehen sind immer wieder herzerfrischend.

Die Autorin versteht es, komplexe Zusammenhänge komplex darzustellen und es weder sich, noch dem Leser, noch Blount zu einfach zu machen mit dem Urteil darüber, wie es denn gewesen sein könnte. Man erhält einen sehr lebendigen Blick, sozusagen von innen, auf das elisabethanische Zeitalter und die ihm vorausgehenden Wirren. Die große Gefahr, die, bedingt durch die ständigen Wechsel der gekrönten Häupter, davon ausging, auf die falsche Religion oder die falschen Emporkömmlinge gesetzt zu haben, führte in dieser Zeit zu einer Fülle von Intrigen, Verstellungen und Vorsichtsmaßnahmen. Und mitten in diesem Ränkegewirr fragt sich Blount immer mehr, ob es wirklich genug ist, das eigene Überleben zu sichern.

Ein toller Roman. Geistreich und gut informiert geschrieben. Kaum tritt ein junger Theologiestudent auf den Plan, da weiß er treffend William von Occam und Thomas von Aquin zu zitieren, und es gibt unzählige andere Details, die davon zeugen, wie gründlich die Autorin ihr Thema studiert hat. Nur in einem Punkt finde ich sie ein wenig - blauäugig. Es betrifft den Grad der Emanzipation solcher Frauengestalten wie Elisabeth oder Amy, die unverblümte Art, in der hier Befindlichkeiten doch vielleicht zu sehr aus heutiger Sicht formuliert werden. Wer wirklich wissen will, wie sich das Neuland anfühlte, das eine sich emanzipierende Frau vor noch wesentlich weniger Jahrhunderten betrat, der muss einmal "Sie und Er" von George Sand lesen. Auch die Schlussfolgerung darüber, was Elisabeth letztendlich über das Thema Heiraten dachte, kann den heute bekannten Fakten nicht wirklich standhalten. Dennoch ein Buch, das mich positiv überrascht und begeistert hat. Leseempfehlung!