Rezension

4,5*: Überzeugender Endzeitroman der leisen Töne: tiefgründig, atmosphärisch und berührend!

Mein Name ist Monster - Katie Hale

Mein Name ist Monster
von Katie Hale

~ Mit „Mein Name ist Monster“ hat Katie Hale eine ungewöhnliche Dystopie der leisen Töne geschaffen, die mich emotional mitreißen konnte. Ich mochte den eigenwilligen, aber eindringlichen Schreibstil, die schönen Vergleiche, die tiefgründige Behandlung der Themen des Buches, die Parallelen zur aktuellen Situation, die unkonventionellen, starken, mutigen und liebevoll ausgearbeiteten Protagonistinnen, die kurzen Kapitel, die dichte Atmosphäre und die subtile Spannung der dialogarmen Dystopie. Nur zwei kleine Kritikpunkte habe ich: Die ältere Heldin war mir in manchen Momenten unsympathisch und der Mittelteil hätte noch etwas temporeicher sein dürfen, weswegen ich eine halbe Lilie abziehe. Meiner Meinung nach hat diese Dystopie viel mehr Aufmerksamkeit verdient! Von mir gibt es deshalb eine klare Leseempfehlung – vor allem für Fans der ruhigeren Töne! ~

Inhalt

Eine junge Frau überlebt den Untergang der Menschheit (durch eine unheilbare Krankheit) in einem Saatguttresor in Spitzbergen und wandert einsam durch eine menschenleere Welt – bis sie auf ein Mädchen trifft…

Übersicht

Einzelband oder Reihe: Einzelband
Erzählweise: Ich-Erzähler, Präsens
Perspektive: weibliche Perspektive
Kapitellänge: sehr kurz
Tiere im Buch:  - Im Buch werden Tiere verletzt und getötet (Spatz, Silberfischchen, Schafe, Hühner, Hunde, Maden). Tiere werden gegessen und geschlachtet, um überleben zu können. Es werden keine Tiere gequält.
Triggerwarnung: Tod von Menschen, Tod von Tieren, Suizid, Erbrechen, Mobbing;

Warum dieses Buch?

Hier hat mich der Klappentext neugierig gemacht – und die Parallelen zur aktuellen Situation.

Meine Meinung

Einstieg (4 Lilien)

Der Einstieg in die Geschichte ist mir trotz der ruhigen Erzählweise und der wenigen Dialoge erstaunlich leicht gefallen. Meine Neugier war sofort entfacht und ich wollte mehr über diese apokalyptische Welt erfahren!

Schreibstil (5 Lilien ♥)

„Hoffnung tötet. Sie bläst einen auf wie einen Ballon und wendet sich ab, wenn die Wirklichkeit mit spitzer Nadel zusticht.“ E-Book, Position 957

Der Schreibstil ist vielleicht ein wenig gewöhnungsbedürftig, aber ich mochte ihn sehr. Katie Hale schreibt einfach, aber gleichzeitig eindringlich und berührend. Nie ist ihre Erzählweise oberflächlich, die Autorin nimmt sich genug Zeit für philosophische Fragestellungen und die Ausarbeitung ihrer Themen. Außerdem enthält das Buch sehr schöne und gelungene Metaphern, Vergleiche und Zitate.

Idee, Inhalt, Themen & Ende (5 Lilien ♥)

„Wenn die Welt in Flammen steht, vergisst man leicht, dass es Eis gibt.“ E-Book, Position 11

Manchmal weiß man schon beim ersten Satz: „Das wird gut!“ So war es auch hier. Mit „Mein Name ist Monster“ hat Katie Hale eine ungewöhnliche Dystopie der leisen Töne geschaffen, die mich berühren und emotional mitreißen konnte. Hier steht nicht der Weltuntergang selbst im Fokus, sondern das eigentlich wenig spektakuläre tägliche Leben und Überleben danach. Es geht um Nahrungssuche, Verletzungen, Tierhaltung, Gartenarbeit und die Beziehung zwischen einer erwachsenen, menschenscheuen Frau und einem verwilderten Mädchen. Das Worldbuilding ist sehr gelungen, und trotz der ruhigen Geschichte kann die Autorin mit so mancher unerwarteten Wendung überraschen.

Inspiriert zu ihrem Buch wurde die Schriftstellerin von Klassikern wie „Robinson Crusoe“ und „Frankenstein“, was man der Geschichte auch anmerkt. In ihrer Heimat ist die Britin vor allem als Lyrikerin bekannt und hat bereits Preise für ihre Gedichtbände erhalten. Thematisch stehen philosophische Fragestellungen ebenso im Fokus wie die beklemmende Einsamkeit und Gefährlichkeit der neuen Welt, Freundschaft und Liebe. Alle diese Aspekte behandelt die Autorin tiefgründig; düstere Momente wechseln sich hierbei mit hoffnungsvollen ab. Dass manches unklar bleibt bzw. nur angedeutet wird, hat mich nicht weiter gestört, obwohl ich über die Vergangenheit des Mädchen gern noch mehr herausgefunden hätte.  Die Geschichte mündet schließlich in ein sehr gelungenes Ende, das mich zufrieden zurückließ.

Erinnert hat mich „Mein Name ist Monster“ an die Dystopie „Anna“ von Niccolò Ammaniti. Ich habe das Buch damals mit drei Sternen bewertet (es hatte seine Schwächen), doch beim Lesen habe ich gemerkt, dass viele Szenen aus dem Roman auch heute noch sehr präsent in meinem Kopf sind. Das Buch wirkt also länger nach, als man denkt. Wenn euch also „Mein Name ist Monster“ gefallen hat, könnte auch Ammanitis Dystopie etwas für euch sein.  

In „Mein Name ist Monster“ sind Kriege, in denen eine tödliche Krankheit als Waffe eingesetzt wurde, schuld am Untergang der Menschheit. Die Parallelen zur aktuellen Corona-Situation sind natürlich nicht zu übersehen, weshalb man dieses Buch im Moment wohl noch einmal mit ganz anderen Augen liest, als man das normalerweise tun würde. Dadurch wird die Geschichte noch interessanter und erhält eine zusätzliche Bedeutungsebene. Die Dystopie kann mit Sicherheit als Warnung betrachtet werden, welche unkalkulierbaren Folgen es haben kann, wenn biologische Waffen eingesetzt werden.

Protagonistinnen (4,5 Lilien)

„Ich glaube, wenn es alle anderen nicht schaffen, kann man nur als Monster überleben.“ E-Book, Position 85

In der Mitte des Buches gibt es einen unerwarteten Perspektivenwechsel – ab da sehen wir plötzlich alles durch die Augen des Mädchens. Zuerst habe ich mich dagegen gesträubt, weil ich mich an Monster gewöhnt hatte, doch nach und nach hat mich die junge Heldin um den Finger gewickelt und sich in mein Herz geschlichen. Der Schreibstil passt sich auf gelungene und authentische Weise der einfacheren (aber nicht weniger tiefgründigen) Denkweise und Sprache der jungen Hauptfigur an, was mir sehr gut gefallen hat. Ich mochte ihre Intelligenz, ihre Unbeschwertheit, ihre Naivität und ihr Philosophieren, und ich liebte es, wie sie sich oft diese komplizierte Welt erklärte und Theorien zu verschiedenen Dingen aufstellte.

Auch die junge Frau, der wir in der ersten Hälfte des Buches bei ihrer Reise in den Süden über die Schulter schauen, habe ich gerne begleitet. Sie war gut ausgearbeitet, hat glaubwürdige Schwächen und Stärken und es fiel mir leicht, mit ihr mitzufühlen. Dennoch hatte ich zwischendurch meine Probleme mit ihr. Sie ist oft nicht einfach und obwohl ich verstehe, dass sie ihre Vergangenheit (das Anderssein, das Mobbing) geprägt hat, fand ich sie in manchen Momenten unangemessen grausam Erik und Monster gegenüber, wodurch sie mir manchmal etwas unsympathisch war. Insgesamt fand ich aber auch sie interessant und sehr liebevoll ausgearbeitet, weswegen ich hier nur einen halben Stern abziehe.

Spannung (4 Lilien) & Atmosphäre (5 Lilien ♥)

Obwohl dieser Roman in der ersten Hälfte kaum Dialoge enthält, zog sich das Buch zu keinem Zeitpunkt, was mit Sicherheit auch an den sehr kurzen, episodenhaften Kapiteln liegt, die sich schnell weglesen lassen. Eine subtile Spannung durchzieht die Dystopie, man will unbedingt wissen, wie es weitergeht und ob die Geschichte für die beiden „Monster“ gut ausgeht. Die ruhigen Momente sind oft die schönsten. Nur im Mittelteil hätte es die Geschichte noch etwas temporeicher sein dürfen.

In „Mein Name ist Monster“ gelingt es Katie Hale, eine sehr dichte Atmosphäre zu kreieren. Die Leere der Welt, die Stille, der Verfall, die Einsamkeit – der Untergang der Menschheit wird in jeder Zeile, in jeder treffenden Beschreibung spürbar. Man fühlt sich, als wäre man selbst dort und liest die Geschichte gerade zur Corona-Zeit noch einmal mit ganz anderen Augen.

Feministischer Blickwinkel (5 Lilien ♥)

Bechdel-Test (zwei Frauen mit Namen sprechen miteinander über etwas anderes als einen Mann): bestanden! (wenn man das Mädchen als junge Frau zählt)
Frauenfeindliche / gegenderte Beleidigungen:  brünstiges Miststück

Hier hat das Buch wirklich alle Lilien verdient! Wir begleiten zwei starke, mutige Frauen, die hart arbeiten und ganz ohne männliche Hilfe dafür sorgen, dass sie überleben. Beide Hauptfiguren sind nicht konventionell schön (was ich erfrischend finde!), aber intelligent und wild und entsprechen keinen Geschlechterklischees. Katie Hale hat hier alles richtig gemacht!

Mein Fazit

Mit „Mein Name ist Monster“ hat Katie Hale eine ungewöhnliche Dystopie der leisen Töne geschaffen, die mich emotional mitreißen konnte. Ich mochte den eigenwilligen, aber eindringlichen Schreibstil, die schönen Vergleiche, die tiefgründige Behandlung der Themen des Buches, die Parallelen zur aktuellen Situation, die unkonventionellen, starken, mutigen und liebevoll ausgearbeiteten Protagonistinnen, die kurzen Kapitel, die dichte Atmosphäre und die subtile Spannung der dialogarmen Dystopie. Nur zwei kleine Kritikpunkte habe ich: Die ältere Heldin war mir in manchen Momenten unsympathisch und der Mittelteil hätte noch etwas temporeicher sein dürfen, weswegen ich eine halbe Lilie abziehe. Meiner Meinung nach hat diese Dystopie viel mehr Aufmerksamkeit verdient! Von mir gibt es deshalb eine klare Leseempfehlung – vor allem für Fans der ruhigeren Töne!

Wer dieses Buch mochte, mag möglicherweise auch: „Anna“ von Niccolò Ammaniti.

Bewertung

Idee: 5 Lilien ♥
Inhalt, Themen, Botschaft: 5 Lilien ♥
Umsetzung: 4,5 Lilien
Worldbuilding: 5 Lilien ♥
Einstieg: 4 Lilien
Ende / Auflösung: 5 Lilien ♥
Schreibstil: 5 Lilien ♥
Protagonistinnen: 4,5 Lilien
Spannung: 4 Lilien
Atmosphäre: 5 Lilien ♥
Emotionale Involviertheit: 5 Lilien ♥
Feministischer Blickwinkel: 5 Lilien ♥

Insgesamt:

❀❀❀❀,5 Lilien

Dieses Buch bekommt von mir viereinhalb Lilien!