Rezension

Alltag in Zeiten des Krieges

Margherita und der dunkle Widerschein der Welt -

Margherita und der dunkle Widerschein der Welt
von D.G. Ambronn

Bewertet mit 5 Sternen

Berührender und gleichzeitig spannend-informativer Rückblick einer über 80-jährigen Engländerin auf die beiden ersten Jahre des 2. Weltkriegs und damit das Ende ihrer Kindheit.

Wie die Inhaltsbeschreibung verrät, entschließt sich die über 80-jährige Margherita Civitella, Tochter eines in Großbritannien zu Wohlstand gekommenen Italieners und einer englischen Bischofstochter, davon zu erzählen, wie sie als junges Mädchen, gerade 13 geworden als der Zweite Weltkrieg mit dem Einmarsch der Deutschen in Polen begann, die Kriegsjahre erlebt hat. Vorliegendes Buch ist der erste Teil einer offensichtlich auf mehrere Bände angelegten Serie und ihre Erinnerungen im hier zu besprechenden Band beziehen sich auf die Zeit vom September 1939 bis zum Ende des Jahres 1940.

Sehr klar sind sie, diese Erinnerungen, sehr detailliert, wie man das nicht selten bei alten Menschen findet, besonders dann, wenn es dabei um eine Zeit geht, die lebenseinschneidend, lebensverändernd war und die eine ganze Generation um ihre Jugend betrogen, ein normales, sorgloses Heranwachsen und Erwachsenwerden verhindert hatte, sofern letzteres überhaupt erreicht wurde. Und das war bei genügend jungen Frauen, vor allem aber bei Millionen junger Männer, die zunächst voller Begeisterung und Patriotismus in einen von Wahnsinnigen – denn das sind Kriegstreiber immer und ausnahmslos! - angezettelten Krieg zogen, nicht der Fall!

Nun, wie wir alle wissen, sofern wir uns für dieses wohl düsterste Kapitel deutscher Geschichte interessieren, war mit dem Überfall auf Polen 1939 zwar klar, dass da ein Krieg begonnen hatte, aber während der ersten Monate herrschte noch die Ruhe vor dem Sturm, in Deutschland sowie natürlich in Südostengland, dem Hauptschauplatz dieses Romans. Eine trügerische Ruhe freilich, denn außerhalb des Landes, auf See, waren bereits die ersten Opfer zu beklagen, die sich zu Beginn des Folgejahres während der Luftschlacht um England vervielfältigen sollten. Noch aber herrschte Ruhe im Land, das Leben ging mit verschmerzbaren Einschränkungen weiter und auf die gewohnten Vergnügungen, wie Kino und Tanzen, musste erst einmal nicht verzichtet werden.

Darüber mögen die einen, die mit Vernunft und Verstand Gesegneten, froh gewesen sein, die anderen, vorwiegend junge Männer, erfüllt von einem für die junge Generation heute unverständlichen Patriotismus, aber enttäuscht, denn, idealistisch wie sie waren, wollten sie am liebsten sofort in den Krieg ziehen, um Hitler den Garaus zu machen oder, je nachdem, aus welchem nationalen Blickwinkel man es betrachtet, Europa und die Welt zu erobern, für den Führer! Man bekommt geradezu eine Gänsehaut, wenn man über diese Begeisterung des Beginns am Anfang der Geschichte liest....

Da uns Margherita ausführlich an ihrem Familienleben teilhaben lässt, wissen wir, dass auch ihr älterer Bruder Gino ganz erpicht darauf war, zu kämpfen und sich alsbald in der Royal Air Force als Pilot ausbilden ließ, nicht ahnend, mit welchen Desillusionen er schon bald zu kämpfen haben würde. Seine Freunde, bis auf den rationalen Sonny, waren da nicht anders, hatten aber weniger Glück in Bezug auf eine militärische Karriere als der schneidige Gino. Was sich ja vielleicht als lebensrettend erweisen würde... Dem jungen Danny, deutscher Jude, der von seiner Familie rechtzeitig, wie sie meinten, in England in Sicherheit gebracht wurde, jedoch wurde deutlich klargemacht, dass sein Einsatz für England nicht erwünscht war. Ironie der Geschichte, die sich ein ums andere Mal wiederholt hat und das noch immer tut: der vermeintlich sichere Hafen ist genau das nicht! Man will sie nicht, die Fremden, die Geflüchteten. Man schiebt sie ab, interniert sie, schickt sie in Camps, die nichts anderes sind als Gefangenenlager, schafft sie außer Landes – und viele müssen mit dem Leben bezahlen.

Manche Leser, mich eingeschlossen, werden erstaunt über das gewesen sein, was wir über das Schicksal der Flüchtlinge und der Nicht-Briten in England, von denen viele längst in der fremden Heimat sesshaft geworden waren, erfahren haben. Ganz sicher aber betroffen, denn am Misstrauen bis hin zur offenen Feindseligkeit Fremden gegenüber hat sich bis heute nichts geändert, nicht in England, nicht in Deutschland und vermutlich nirgendwo!

Überhaupt ist das Buch, sind Margheritas Erinnerungen nicht nur interessant und spannend zu lesen, sondern darüberhinaus informativ und lehrreich, ob es nun die eben erwähnte Behandlung der Emigranten betrifft oder auch der Dienstboten in jenen Zeiten oder militärische Einzelheiten, die Bildung von Bürgerwehren, die beginnenden Rationierungen und neuen Vorschriften oder das, was einen wichtigen Raum in diesem ersten Teil einnimmt – das Internatsleben nämlich, das auf jemanden, der so etwas gar nicht oder nur aus maßlos verklärenden Kinderbüchern kennt, die eine Zeitlang mit Vorliebe in Internaten angesiedelt waren, ziemlich schockierend wirken mag. Ein Leben voller Zucht und Ordnung und so, wie man sich ein Kasernenleben vorstellt. Gefühle zeigt man nicht, mit Schmerzen und Verletzungen geht man stoisch um und macht im Übrigen alles mit sich selbst aus. In der Tat, auf den ersten Blick wirkt diese so englische Einrichtung mehr als abschreckend, aber wenn man zu seinem Erstaunen Margherita sagen hört, dass ihr eigenes Mädcheninternat ihr zweites Zuhause sei und allmählich tiefere Blicke in diese Institution und ihren Alltag wirft, modifiziert man vielleicht seine anfängliche Abneigung... Dem aber soll an dieser Stelle nicht vorgegriffen werden!

Betrachten wir stattdessen die Art und Weise, auf die uns der Autor an Margheritas Erinnerungen teilhaben lässt, uns geradezu mit hineinnimmt in ihre Gedanken und Beobachtungen! Der Ich-Erzählerin ist die anfangs 13-jährige mühelos abzunehmen. Ein Kind noch in ihrer Einschätzung von etwas, das sie weder recht versteht noch gar abschätzen kann (womit sie schließlich nicht alleine war, denn wer konnte das schon in jenen frühen Monaten des Weltensturms?). Doch blickt sie immer wieder voraus, greift den Ereignissen vor in ihrer Erzählung, um das, was sie viel später erst versteht, mit dem zu verknüpfen, was sich ereignet hat in den Jahren 1939 und 1940. Ebenso glaubwürdig und sehr feinfühlig geschildert wird der Reifeprozess, den Margherita in dieser Zeit durchläuft, die Wandlung vom Kind zum Teenager oder Backfisch, wie man dieses mitunter schwierige Stadium damals nannte, diese Veränderung ahnend, spürend, aber noch nicht recht begreifend, dabei erstaunlich unwissend in den Dingen des Lebens und viel kindlicher als Gleichaltrige heutzutage!

Sehr gut gemacht ist das, mich geradezu begeisternd. Und wenn dann die Geschichte auch noch in einer Sprache abgefasst ist, an der ich nicht den geringsten Makel finden und die ich nur als verführerisch schön bezeichnen kann, dann weiß ich, dass ich hier einen guten, einen sehr guten, tiefgründigen, authentischen, bis in die kleinsten Einzelheiten stimmigen Roman gelesen habe, der haargenau so ist, wie ich das von Büchern erwarte, aber leider immer seltener bekomme – und auf dessen Fortsetzung ich ungemein neugierig bin!