Rezension

Am Nerv der Zeit

Das ist dein Moment -

Das ist dein Moment
von Max Lucado

Bewertet mit 4.5 Sternen

„Auch wenn wir das Gefühl haben, dass alles zerbricht, ist Gott mitten unter uns am Werk und sorgt dafür, dass sich alles zusammenfügt.“

Kaum einer, der eine Bibelgeschichte so frappierend einfach und doch so scharfsinnig analysieren kann, wie Max Lucado. In diesem Buch nimmt er sich die Ester-Geschichte vor und ist damit erstaunlich nah am Nerv der Zeit. Dabei hält Lucado seine Bemerkungen zu den aktuellen Geschehnissen so allgemein, dass man daraus keine spezifische politische Haltung erkennen kann. Und das ist gut so. Denn dieses Buch ist offen für jeden, der darin Inspiration und neue Impulse sucht. 

Das Buch kam für mich zur rechten Zeit. Ich hatte einen regelrechten Hunger auf die Botschaft darin und wurde nicht enttäuscht. Schon nach den ersten zwei Seiten fühlte man sich wie emporgehoben.  

Wir erfahren einige interessante historische Hintergrundinformationen zur Ester-Geschichte. Und obwohl es sich wunderbar unanstrengend liest, ist es auch ein wissenschaftliches Buch, denn Lucado belegt sauber jede Information, jedes Zitat. 

Herrlich finde ich, wie er immer wieder mit der nötigen Portion 21.-Jahrhundert-Denke die Entwicklungen in der Bibelgeschichte auf den Punkt bringt. Für die Rehabilitation der armen Königin Waschti muss man ihm besonders dankbar sein. Der mächtige König Xerxes kommt jedenfalls nicht gut weg in der Geschichte. Was die Herausforderung für Ester umso schwieriger macht.

Ein interessanter Aspekt wird im dritten Kapitel herausgearbeitet: dass Mordechai und Ester im Exil ihre jüdische Identität lange Zeit verleugneten. Aber wer sind wir, sie dafür zu verurteilen? Max Lucado macht es hier weder seinen biblischen Protagonisten, noch sich selber leicht.

Lucados Bilder sind nicht immer meine Bilder. Indem Lucado die Leerstellen in der Bibelgeschichte füllt, erliegt er, meinem Gefühl nach, auch schon mal dem einen oder anderen alten Rollenklischee. Die Ester, die ich mir vorstelle, muss nicht erst zusammenbrechen und mit dem Gesicht auf dem Boden liegen, um sich zu einer starken Frau zu entwickeln, die sich am Herrn orientiert statt an der Konvention. 

Aber auch wenn Lucados Vorstellung von der Szene sich nicht immer ganz mit meiner Vorstellung deckt, liebe ich es, seiner Erzählweise zu lauschen. Und seine klaren, schönen Merksätze in mich aufzunehmen.

„Erzähl Gott nicht, wie gewaltig der Sturm ist. Erzähl dem Sturm lieber, wie gewaltig dein Gott ist.“

Es ist, wie alles von Lucado, ganz einfach zu lesen, geht aber sehr tief. 

Die Fragen zum Nacharbeiten am Ende des Buches, die die Tochter des Autors zusammengestellt hat, erschlugen mich allerdings etwas. Wenn man die Fragen alle ernsthaft zu bearbeiten sucht, kommt man sich schnell vor wie in einer Klassenarbeit. Wenn man aber ein bisschen selektiert, können sie eine hilfreiche Vertiefung sein, und zwischen den Zeilen versteckt sich noch so manches kleine Juwel.

Auf jeden Fall ist das ein starkes Buch, das sich zu lesen lohnt. Es ist ein Buch für diesen Moment, jetzt.

Wer gerade eine Ermutigung braucht: Lesen!

Kommentare

wandagreen kommentierte am 31. März 2023 um 23:52

Ester wurde mit hunderten anderen jungen Mädchen dem König als jungfrauliche Gespielin zugeführt; man kann mit Fug und Recht sagen, zur Vergewaltigung freigegeben. Eine sehr problematische biblische Geschichte. Die immer glorifiziert wird, aber eine sehr schlimme Storyline hat,die gerne unterschlagen wird. Ich möchte nicht wissen, wie die bibl. Schreiber reagiert hätten, und auch die heutigen männlichen Christen, wenn selbiges von Jungs verlangt worden wäre.

Arbutus kommentierte am 01. April 2023 um 21:48

Hi Wanda, schön, von Dir zu hören! Ja, König Ahasveros ist kein Symparhieträger, und sein königlicher Befehl, ihm tausend Jungfrauen zuzuführen, wird auch in der Bibel nicht glorifiziert, allenfalls neutral berichtet (grundsätzlich habe ich nichts gegen neutrale Berichterstattung, man kann sich dann selber seine Meinung bilden). Lucado geht darauf auch kurz ein und macht kein Hehl daraus, dass er es scheußlich findet. In meinen Augen schmälert dieses furchtbare Detail aber nicht die eigentliche Lehre der Geschichte, nämlich die, dass ein ganzes Volk, dem der sichere Genozid droht, gerettet wird.