Rezension

Au revoir Tegel - bonjour, Monsieur Kappe!

Au revoir, Tegel - Bettina Kerwien

Au revoir, Tegel
von Bettina Kerwien

Bewertet mit 4 Sternen

Der Beton des Flughafens Tegel ist noch nicht ganz trocken - eröffnet wurde er am 1. November 1974 - da kommt zum Nikolaustag die erste Leiche auf dem Kofferband an: Mord. Kappes erster Fall. Peter Kappe ist schon das dritte Familienmitglied, das in der Reihe „Es geschah in Berlin“ des Jaron-Verlages auf Verbrecherjagd in Berlin geht. Alle zwei Jahre legt ein Kappe einem Verbrecher das Handwerk und darf ein anderer Autor sich ans Werk machen. 1974 übernimmt Bettina Kerwien den Fall und siedelt ihn in Tegel an. „Au revoir, Tegel“ ist ein gut gewählter Schauplatz, da der Flughafen heute, kurz vor seiner endgültigen Schließung, in aller Munde ist. Der Tagesspiegel titelte schon 2012 seinen verfrühten Nachruf auf den Flughafen mit dem gleichen Abschiedsgruß. Doch Tegel ist nicht nur gut gewählt, sondern auch gut beschrieben: Anfang und Ende des Romans werden vor der Kulisse des Flughafens so plastisch inszeniert, dass das markante Sechseck im Stil des modernen Brutalismus zu einem beeindruckenden Nebendarsteller taugt.

Hauptdarsteller ist Peter Kappe, über den ein sehr gelungener Vorspann schon viel verrät, bei dem der junge Kriminalist durch die nächtliche Zone fährt wie David Lynchs Chargen über den Mullholland Drive. Solche eindrücklichen Szenen, bei denen man den kalten Nebel auf der Haut spürt, die Blunabrause auf den Lippen schmeckt oder der Rauch der Ernte 23 in den Augen kneistert, gibt es in Kerwiens Kappe-Debut häufig, und sie sind neben den gepfefferten Dialogen der Autorin ihre große Stärke. Sie setzt die Stadt, ihre Figuren, den Flughafen stets prall und bunt in Szene, oft mit Pointe. Bisweilen geraten die Pointen womöglich zu schrill, mitunter wirkt die Handlung leicht überdreht (Entführung? Überführung? Das hätte man alles auch günstiger haben können) - aber der Rausch des Erzählens hat Kerwien gepackt und reißt den Leser im Rausch der Lektüre mit. 

Es macht nichts, wenn man keinen anderen Kappe-Roman kennt: Ich jedenfalls kenne keinen, habe keinen vermisst und finde, dass „Au revoir, Tegel“ auch als Stand-alone ein großes Lesevergnügen ist, das sich insbesondere darin auszeichnet, absolut nach 1974 zu schmecken, ohne dass die Recherchemühen dozentenhaft ausgeklopft werden. Ich muss mir mal noch einen Kappe zu Gemüte führen, vielleicht einen vom Urvater Bosetzky selbst. Ganz sicher aber einen, wenn er wieder von Kerwien kommt.