Rezension

Aufwühlend

Die Topeka Schule - Ben Lerner

Die Topeka Schule
von Ben Lerner

Bewertet mit 4 Sternen

Die Lektüre von Ben Lerners Roman „Die Topeka Schule“ hat einen sehr ambivalenten Eindruck bei mir hinterlassen. 
Zu Beginn muss sich der Leser erst gedulden, bis aus den zum Teil sehr verworrenen Wahrnehmungen Adams sich ein Verständnis über seine psychische Situation entwickelt. Der Schreibstil mit einer Vielzahl von psychologischen Fachbegriffen, von Begriffen und Zusammenhängen, die in den USA vielleicht sofort verständlich sind, für die Leser in Deutschland aber zum Teil erläuterungsbedürftig sind, sorgen streckenweise für eine unnötige Sperrigkeit. Um einige Beispiele zu nennen: Mir war am Anfang nicht bewusst, welche Bedeutung die Wannen haben, die die debattierenden Schüler mit sich schleppen, wenn sie zu Debattier-Duellen an andere Highschools fahren. Was ist ein Homburg (S. 90)? Auch die Vorliebe für sehr ungebräuchliche, zum Teil veraltete Fremdwörter wie das Verb „insultiert“ (S. 189) erscheinen mir völlig überflüssig, und wirken deplatziert. In den Zusammenhang einer intellektuellen, jedoch auch verstörend krankmachenden Welt passen sie jedoch gut hinein. Die eindrücklichen Passagen, die den Verlauf der diversen Arten von Debattier-Wettkämpfen mit ihren eigentümlichen Gesetzen von Schnellsen und einstudierten Choreografien in den Werte-Debatten und Extempt-Rededuellen, in denen die Jugendlichen lernen, wie Politiker den Schein von Wissen zu vermitteln, während das Sein, die Essenz, irrelevant bleibt, zeigen in der Tat sehr deutlich auf, dass in diesem Gesellschaftssystem etwas schief läuft. 
Adam ist als Sohn von Eltern, die beide in einer psychiatrischen Einrichtung arbeiten, und die Privates und Berufliches kaum trennen können, nicht zu beneiden. Ihr ganzes Leben wird gemäß dem psychiatrischen Habitus ständig analysiert und hinterfragt. Eine gesunde Entwicklung zu nehmen, einfach „normal“ heranwachsen zu können, setzt voraus, dass Jugendlichen zugetraut wird, auch mal von den Eltern unbeobachtet zu sein, so dass sie nicht von deren überängstlichem helikoterhaften Verhalten erdrückt werden. Der Roman zeigt eindrücklich, wie der Schatten der nicht verarbeiteten traumatischen Kindheitserlebnisse der Elterngeneration auch auf die eigenen Kinder fällt und in ihnen weiterwirkt. Um diese Komplexe kreist der Roman sehr intensiv, um eine Neuorientierung zwischen den Geschlechtern, um ein Suchen und Austarieren von sozialen und gesellschaftlichen Ungerechtigkeiten. 
In wechselnden Perspektiven zwischen Adams Vater Jonathan, Adams Mutter Jane und Adam selbst entsteht zuerst aus einzelnen Puzzleteilen nach und nach ein sich immer klarer und dichter entwickelndes Gesamtbild auf diese Familie, in die auch die Großelterngeneration und die Folgegeneration mit hineingezogen wird. Der Erzählstil hält streckenweise auch Schwierigkeiten bereit, da phasenweise im Erzählen der Figuren zwischen der ersten und dritten Person gewechselt wird und nicht immer der Adressat klar zu erkennen ist. (Meint Jane, wenn sie von Dad spricht, mal ihren eigenen Vater, so kann sie im nächsten Moment mit Dad ihren Mann meinen, da sie zu Adam spricht.)
Eine Vielzahl von Leerstellen und nicht wieder aufgenommenen Erzählsträngen ist zudem festzustellen, was mir nicht so gut gefallen hat (vor allem im Zusammenhang mit Darren, aber auch Sima und Natalia). 
Von der angeblichen Freundschaft zu Darren kann ich eigentlich nicht viel feststellen, abgesehen von der kurzen Episode im Kindergarten.
Ich habe beim Lesen vor allem mit Adam Mitleid empfunden. Zwar gibt es auch berührende Momente im Buch, die jedoch von der Übermacht der psychologisch-psychiatrischen Perspektive und dem intellektuellen Gewicht überfrachtet werden.