Rezension

Ausgeweidete Tote und Kindesmissbrauch

Eisrot - Mads Peder Nordbo

Eisrot
von Mads Peder Nordbo

Bewertet mit 3.5 Sternen

Matthew Cave kommt als Journalist in seinen Geburtsort Nuuk auf Grönland zurück. Sein Vater war US-Soldat in Thule und verschwand eines Tages, als Matthew vier Jahre alt war. Matthew und der Fotograf Malik sollen über die Mumie eines Wikingers berichten, die vom Eis freigegeben worden ist. Wer wie aus der Pistole geschossen in Dänisch und Englisch für die Medien schreiben kann, ist der richtige Mann vor Ort; denn Matthews Chefredakteur will auf jeden Fall den ersten Artikel zur Wikingermumie veröffentlichen. Der Tote ist ein kräftiger, großer Kerl, ganz anders als die Grönländer, so dass die Beteiligten sofort an die Nordmänner denken, die im 15. Jahrhundert einfach von Grönland verschwanden. Als am nächsten Tag der Polizist tot aufgefunden wird, der die Mumie bewachen sollte, lassen sich die Ähnlichkeiten mit vier Todesfällen des Jahres 1973 nicht mehr übersehen. Maliks Ausrüstung samt allen Fotos wird geraubt und Matthews Chef verhängt sofort einen Nachrichtenstopp. Zur Ablenkung soll sich Matthew mit dem Vierfachmord von vor 40 Jahren befassen. Die Einwohner Nuuks hatten sich nie damit abgefunden, dass die Fälle ungelöst blieben, und man könnte hoffen, dass Matthew als Außenstehender einen neutralen Blick auf die Taten hat.

In den 70ern waren in Nuuk eine Reihe von Mietskasernen gebaut worden, in denen die einheimischen Fischer und Jäger sich - wen wundert es - nicht wohlfühlten. In einigen Familien war es üblich, dass kleine Mädchen mit 11 Jahren zur Frau erklärt wurden. Sie mussten lernen eine Robbe auszunehmen und wurden zu Sex mit fremden Männern gezwungen. Der spektakuläre Mord von 1973 an vier Männern, die ebenfalls wie eine Robbe ausgeweidet wurden, stand im Zusammenhang mit dem Missbrauch kleiner Mädchen. Nur ist das Uhu ein Frauenmesser zur Bearbeitung von Häuten und die Spuren an den Leichen zeigten eine sehr routinierte Benutzung des traditionellen Messers. Matthew erhält Einsicht in das persönliche Notizbuch des damals ermittelnden Polizisten, der den Missbrauch aufdeckte und kurz darauf verschwand. Je weiter er in den Fall vordringt, umso naheliegender scheint es, dass auch die „Wikinger-Mumie“ mit den Morden von vor 40 Jahren zusammenhängt. Und damit wird die Verknüpfung der Fälle für einen Laienermittler eindeutig eine Nummer zu groß. Die Begegnung mit einer jungen Frau, die nach einer 12-jährigen Haftstrafe entlassen wird und als Kind ihre gesamte Familie tötete, eröffnet Matthew einen weiteren Blick auf Gewalt als Folge vollig misslungener Politik in Grönland.

Mads Peter Nordbo ist Däne, lebt auf Grönland und zeigt eine auffällige Ähnlichkeit mit seinem Protagonisten Matthew. Wie ein Autor einen Krimi in seiner Heimatstadt ansiedelt, hat mich an Nordbos erstem Thriller interessiert. Kriminalfälle mit ausgeweideten Toten und Missbrauch an Kindern in dieser Konzentration finde ich schwer zu ertragen. Aber das wusste ich, bevor ich den Roman aufschlug. Das Setting mit einem Fremden von außerhalb als Ermittler, die Verknüpfung eines aktuellen Falls mit ungelösten Altfällen, all das funktioniert hier perfekt. Allerdings überfrachtet der Autor seinen Erstling mit zu vielen Thriller-Versatzstücken. Die bis in höchste Kreise korrupten Politiker, die Vatersuche Matthews, der einsame Wolf, dessen Frau und Kind einem tödlichen Unfall zum Opfer fielen, wie die skrupellose, ganzkörpertätowierte Kämpferin, die einen Regierungsserver hacken kann, das müssen Krimi-Leser nicht mehr in der Wiederholungsschleife lesen.

Wer keine Metzel-Plots mag, wird ohnehin nicht zu dem Buch greifen. Alle anderen finden in „Eisrot“ einen raffinierten Plot der härteren Art auf zwei Zeitebenen und atmosphärische Beschreibungen, die Lust auf Nordbos angekündigten zweiten Thriller machen.