Rezension

Ausweglosigkeit

Scham - Inès Bayard

Scham
von Inès Bayard

Bewertet mit 4.5 Sternen

Meine Meinung und Inhalt

"Maries Fäuste dagegen lagen auf dem Tisch. Ein einziger tragischer Vorfall in ihrem Leben hatte zu dieser Tat geführt. Nun sah sie endlich friedlich aus. Ihre Gesichtszüge waren entspannt, ihr Körper frei von jedem sinnlosen Schmerz. " (ZITAT)

Schon nach den ersten Seiten hat mich das Buch emotional mitgerissen. Der Prolog (auch wenn er nicht als solcher betitelt wurde) beginnt mit dem Ende der Geschichte. Ich habe mich sofort gefragt - was passiert hier. Wie konnte das alles soweit kommen. Der letzte Ausweg? Und ab diesem Zeitpunkt hatte mich die Autorin Bayard in ihre Geschichte gefangen. 

"Bevor weitere Enthüllungen die ersten Urteile nach sich ziehen, halten wir einen Moment inne und lassen die Gestalt der toten Frau auf uns wirken, die im Kreis ihrer Lieben als Einzige noch aufrecht am Tisch sitzt." (ZITAT)

In "Scham" geht es um die junge Marie. Ihr Leben scheint perfekt. Ihr Mann ist Anwalt und beide haben beschlossen, ein Kind zu bekommen. Da passiert das Unfassbare. Marie wird von ihrem Chef auf dem Heimweg brutal vergewaltigt. Und er setzt sie so unter Druck, dass sie niemandem, nicht einmal ihrem Mann, davon erzählt. 

Als Leser muss man mit ansehen, wie der Protagonistin der Moment, in welchem sie noch Hilfe suchen könnte, entgleitet, und wie sie vom Opfer zur Täterin wird.

Die Vergewaltigungsszene ist schockierend und radikal geschildert, sodass spätestens hier klar wird, dass "Scham" keine locker leichte Lektüre ist. 

Man selbst fühlt sich verzweifelt, kann von der Autorin geschilderte Gedankengänge von Marie nachvollziehen und erwartet selbst von ihrem Mann, dass er was merkt. Man spürt den wachsenden Hass von Marie und die schiere Ausweglosigkeit.

"Er verschließt die Augen vor den Tatsachen, liebt seine Frau von ganzem Herzen, ahnt nichts von ihrer Verzweiflung." (ZITAT)

​Das Cover ist meiner Ansicht nach sehr gut gewählt und gefällt mir gut.

​Absolute Leseempfehlung!

Inès Bayard, geboren 1992 in Toulouse, lebt derzeit in  Berlin. Scham ist ihr erster Roman und stand in Frankreich auf der Longlist für den Prix Goncourt 2018.