Rezension

Bei mir blieb die Begeisterung leider aus...

Die Ungleichzeitigen -

Die Ungleichzeitigen
von Philipp Brotz

Bewertet mit 2.5 Sternen

Denkanstöße sind gegeben worden, wichtige Themen angesprochen - aber mich konnte der Roman leider nicht begeistern...

Hagen, Anfang dreißig und ewiger Student, ist in Berlin gescheitert und mit den Eltern verkracht. Als diese tödlich verunglücken, kehrt er in sein Schwarzwälder Heimatdorf zurück, um an sein früheres Leben anzuknüpfen. Doch bestürzt stellt er fest, dass nichts mehr beim Alten ist: Im Dorf hat man ihn vergessen, der Wald seiner Kindheit soll Flüchtlingsunterkünften weichen. Hagen beginnt einen aussichtslosen Kampf um das Verlorene und gegen das Fremde, bis er in der Jesidin Adana auf eine Frau trifft, die genau wie er entwurzelt zu sein scheint.»Dass ein Vogel den Baumstamm kopfüber hinablaufen konnte, davon hatte sie noch nie gehört. Das wolle sie auch können, flüsterte sie. Alle Wege rückwärtsgehen. Rückwärts in der Zeit.« (Klappentext)

Es sei dem Autor von Herzen gegönnt, dass sein Buch im Rahmen der Leserunde insgesamt auf große Begeisterung gestoßen ist. Ich kann mich dieser Begeisterung leider nicht anschließen, da mein Leseerlebnis kein rundes war, mich vieles gestört hat, allen voran der Hauptcharakter.

Hagen durchläuft im Verlauf der Erzählung zwar eine Entwicklung, doch bis zum Schluss ging er mir richtiggehend auf die Nerven, wirkte in seiner Art auf mich als Charakter auch kaum vorstellbar. Hagen mit seinen mehr als 30 Jahren wirkt wie ein naiv-trotziger Jugendlicher, der keine Pläne für sein Leben hat, der nicht weiß was er eigentlich will, der dringende Ratschläge in den Wind schießt und spontane Entscheidungen trifft, deren Konsequenzen ihn anschließend wieder in tiefe Verzweiflung stürzen. Keine Ausbildung, kein Beruf, nicht einmal das Bestreben, Geld zu verdienen - warum? Keine Ideen, keine Ziele, keine Hoffnung im Leben... Das freundlichste, was mir zu dem Charakter einfällt, ist: naiv.

Seit über 10 Jahren hatte Hagen keinen Kontakt mehr zu seinen Eltern, zieht nach deren Tod aber zurück ins Elternhaus und will wie in einem Museum dort das Alte bewahren. Dafür gibt er viel Geld aus, entwickelt skurrile Pläne rund um die 14jährige Katze, die mich schaudern ließen, und wehrt sich gegen alles, was die Bewahrung der Zustände von früher stört, wozu auch die Atmosphäre im Dorf gehört. Dort bahnen sich jedoch Veränderungen an, die Hagen nicht gutheißen kann. Verantwortlich macht er dafür die Fremden, die Einzug gehalten haben in dem kleinen Ort. Flüchtlinge, für die ein Teil des Waldes seiner Kindheit gerodet werden muss, damit dort Container aufgestellt werden können - etwas, das Hagen einfach nicht zulassen kann. Die Wahl der Mittel erscheint dann - skurril, fragwürdig, wenig vorstellbar. Für mich.

Als Gegenpol erscheint dann die Jesidin Adana, zu der sich Hagen schnell hingezogen fühlt. Diese erlebt eine andere Art von Entwurzelung als die, die Hagen verspürt, und trotz der traumatischen Erlebnisse wendet sich Adana der Zukunft positiver zu als Hagen. Der Autor widmet einen langen Abschnitt der Schilderung der prekären Situation der Jesiden und gibt mit Adana einer ansonsten schnell vergessenen Schlagzeile in den Nachrichten über den Völkermord an den Jesiden ein Gesicht. Einzelne Szenen werden hier sehr eindrücklich geschildert, was verstörend ist und betroffen macht.

"Ein Entwicklungsroman über Heimatverlust, Selbstfindung und Toleranz" - so bezeichnet die Verlagsbeschreibung dieses Buch. Weg von der Verteufelung des Fremden und hin zu einer Annäherung, das ist für mich die Kernaussage der Erzählung. Dass Ernst Bloch hier bei dem Roman Pate steht als Philosoph der Hoffnung mit seinem Utopie-Gedanken erscheint dann auch irgendwie passend. Tatsächlich wirkt die ganze Erzählung ein wenig wie um diesen Gedanken herum komponiert. Ausgehend von dem Gedanken, wie ein Miteinander positiv gestaltet werden könnte, das die Angst vor dem Fremden besiegt. Manche Entwicklungen und Lösungen erscheinen dann auch in der Tat utopisch.

An manchen Stellen kam die Philsophie für mein Empfinden aber ein wenig "wie mit dem Holzhammer" um die Ecke. So z.B. bei der Schilderung einer Tandem-Fahrt. "Hagen stellte sich vor, wie sie beide auf dem Tandem aussehen mussten. (...) Sie verhöhnten den Betrachter in seinem Bedürfnis, die Menschheit für eine individuelle und selbstbestimmte Spezies zu halten." Solche Passagen wirkten auf mich zu drüber und in der Ausdrucksweise zu gestelzt. Ansonsten gab es aber auch durchaus schönsprachige Sätze, die mir gut gefallen haben.

Lesen ist immer ein individuelles Erlebnis. Ich wurde einfach nicht warm mit Hagens Charakter, die philosophischen Anklänge wirkten stellenweise zu gewollt und zu konstruiert auf mich, und trotz wichtiger Botschaften und Denkanstöße konnte mich der Roman einfach nicht wirklich abholen. Ich wäre gerne begeisteter gewesen...

 

© Parden