Rezension

Bestürzend. Beklemmend. Betörend. Berührend.

Du gehörst mir - Peter Middendorp

Du gehörst mir
von Peter Middendorp

Bewertet mit 5 Sternen

In einer Nacht hat der Bauer Tille Storkema Grausames vollbracht. Wie kam es dazu? Wie konnte er danach Jahre lang als Familienvater weiterleben, als wäre nichts geschehen? In der Zwischenzeit wuchern die Verdächtigungen und Anschuldigungen gegen die mutmaßlichen Täter aus einem Asylbewerberheim, während Tille versucht, ein guter Ehemann, Vater und Bauer zu bleiben. Doch der Druck wächst auf den noch recht junge Landwirt, verheiratet und Vater zweier Kinder, der nach seiner nächtlichen Tat dreizehn Jahre lang schweigt und weiter in Familie und Betrieb funktioniert - scheinbar unauffällig. Zur Zeit des Aufrufs zu besagter DNA- Untersuchung nähert sich seine eigene Tochter dem Alter seines zur Tatzeit sechzehnjährigen Opfers; vielleicht ein Grund, weshalb er keinen Versuch unternimmt, sich dem Test zu entziehen. Warum hat er nicht irgendwo anders neu angefangen? Das Wagnis an dem Roman "Du gehörst mir" ist: Autor Peter Middendorp schlüpft in die Figur des Täters, lässt diesen selbst aus einer fiktiven Ich-Perspektive berichten. Entstanden ist ein höchst kunstvoller Roman, der sich Wahrheiten stärker annähert, als es durch bloße Fakten möglich ist. Die Kniffe und Methoden sind überschaubar, mit denen der Ich - Erzähler manipuliert: etwa, wenn er sich gleich eingangs als Kind beschreibt, das miterleben muss, wie sein Vater mit dem Bein in den neu angeschafften Mähdrescher gerät. Eine blutige Szene, viel drastischer geschildert als das eigene Verbrechen und durchdrängt mit Selbstmitleid als nicht wahrgenommenes, weil von den Erwachsenen übersehenes Kind - dabei aber ohne jede Empathie für den Vater, der sein Bein verliert. Sich selbst beschreibt er ausführlich als zärtlichen Vater seiner Tochter - nur über seinen Sohn verliert er kaum ein Wort. Auf solche Fehlstellen muss man als Leser achten, um zu merken, was mit dem Mann nicht stimmt. Auch die Frau des Täters will nichts bemerkt haben, dabei hat sie ihren Mann nach der Tatnacht noch wegen der nicht herauszuwaschenden Flecken in seiner Unterwäsche befragt. Ein genügend deutlicher Hinweis, dergleichen beim Lesen zu hinterfragen. Hinzu kommt die manipulative Verwischung oder gar Vertauschung der Kategorien: Der Sexualmord wird konsequent als Unglück bezeichnet, als einmaliger Ausrutscher, quasi als technisches Versagen, als falsche Einschätzung eines Bremswegs. Die Tat wird letztlich zu einem Stück Naturgewalt, und wenn man nicht achtgibt, ist am Schluss der Täter das Opfer: In der Hauptsache ein tragisch Gescheiterter, der seit der Tatnacht weiterhin tapfer für seine Familie und den Betrieb funktioniert, obwohl er eigentlich kein Leben mehr hat. Bis man sich hoffentlich vergegenwärtigt, dass das Leben des Opfers in der Tatnacht endete und nicht das des Täters. Auffällig ist wie der Roman die Techniken der Manipulation und Wahrheitsverdrehung beleuchtet, besonders auch, wenn vorgebliche Gefühle eines allgemeinen Vernachlässigtseins als Begründung für Untaten herhalten sollen. Das ist ein wichtiger Aspekt, in dem der Roman über sich selbst hinausweist. Unverzichtbar ist jedoch ein kritisches, aufmerksames Hinschauen. Ein Thriller der Extraklasse, der mit den Gefühlen des Lesers spielt. Meisterhaft, verstörend, schmerzhaft, erschreckend, aber auch herzzerreißend – und manchmal sogar lustig. Jeder Charakter hat seine eigene Geschichte.