Rezension

Bewegend

The Noise of Time - Julian Barnes

The Noise of Time
von Julian Barnes

Bewertet mit 4.5 Sternen

Ein Mann wartet. Jede Nacht. Allein, verlassen, nach außen hin völlig ruhig. In seinem Inneren sieht es ganz anders aus. Er wartet auf seinen Abtransport, auf die Polizei, die Hände der Oberen. Er ist Shostakovich, ein berühmter und begnadeter Komponist. Und er weiß nicht, ob er den Aufenthalt im Gefängnis überleben wird, ob er seine Familie wiedersehen wird, ob er zu seiner großen Liebe – der Musik – zurückkehren kann. Und ob er das überhaupt will.

Julian Barnes hat sich für seinen eindringlichen Roman das Leben eines großen Künstlers ausgesucht. Dmitri Shostakovich lebt in einer schwierigen Situation. In der Sowjetunion darf man nicht frei handeln, frei denken schon gar nicht. Als Person des öffentlichen Lebens landet er trotzdem immer wieder im Fokus der Obrigkeit, sein Werk steht unter permanenter Beobachtung. Deren Meinung bestimmt sein Leben, gefällt sein Werk nicht, droht Arbeitslosigkeit - im günstigsten Fall. Gleichzeitig muss er als Aushängeschild für den Westen fungieren, seine eigenen Gedanken verdrängen, die Meinung des Systems im Brustton der Überzeugung von sich geben. Barnes schildert diese Zerrissenheit Shostakovichs nüchtern, beklemmend und doch sehr bewegend. Obwohl man dessen Gedanken auf dem Silbertablett präsentiert bekommt - oftmals in einem wirren, hin- und herspringenden Gedankengewusel - bleibt dem Leser Shostakovich ein wenig fremd. Vielleicht auch, weil der sich immer anders geben muss als er wirklich ist. Im Laufe der Jahre hadert er immer wieder mit seinem Schicksal, möchte nicht mehr weiterleben. Und muss selbst erkennen, dass sein Tod vom System für deren Zwecke ausgeschlachtet würde. Inmitten dieser Selbstzweifel, diesen Drucks findet der Komponist doch einen Weg für die Kunst und schafft Großes. Auch wenn Barnes nicht streng Shostakovichs Biografie erzählt, erfährt man als Leser viel über den Komponisten. Und kann nach der Lektüre nicht anders als ihm großen Respekt zu zollen, für die Tatsache unter welchen Bedingungen er großartige Musik erschaffen hat. Barnes findet immer den richtigen Ton, harte kritische Worte oder auch leise poetische Zeilen. The noise of time klingt oft verzweifelt, melancholisch, machtlos. Und ist trotzdem eines meiner größten Lesevergnügen der letzten Zeit.