Rezension

Bewegende Dystopie

LaPax - Linda Kieser

LaPax
von Linda Kieser

Bewertet mit 5 Sternen

„...Das System ist nicht dafür da, dass man sich mag. Es ist nur dafür da, persönliche Bedürfnisse einzelner Personen zu befriedigen. Wer einsam ist, der spielt in seiner Wohnung oder in seinem Zimmer einfach ein Spiel und merkt dann gar nicht mehr, dass er einsam ist...“

 

Wir befinden uns in der nahen Zukunft. Ray lebt mit ihrer Großmutter, der Mutter und den beiden Brüdern Seven und Mini in einem alten Haus. Sie sind Außenseiter der Gesellschaft, die sich das System nennt, denn die drei Kinder wurden noch auf natürlichen Weg geboren. Normalerweise werden Kinder durch künstliche Fortpflanzung geboren und leben in Kinderhäusern.

Die Großmutter hat noch Erinnerungen an andere Zeiten. Außerdem vermittelt sie ihren Enkeln Fähigkeiten, die im System nicht mehr gefragt sind. Lesen muss keiner mehr können. Bilder dienen der Verständigung.

Synthetisches Essen und Trinken werden vom System zugeteilt. Arbeit ist Pflicht. Es wird überwacht, dass jeder die geforderte Leistung vollbringt. Die Medizin allerdings ist auf höchsten Stand. In der Freizeit stehen vielfältige Computerspiele zur Verfügung.

Als ein Kostümfest angesetzt wird, sieht die Großmutter die Chance, die Kinder in eine geheimnisvolle Stadt zu schicken. Dort hat das System keinen Zugriff. Ein Landstreicher hatte ihr davon erzählt. Sie gibt ihnen die Hoffnung mit auf den Weg, zusammenbleiben und in Freiheit leben zu können. Sie kann sie nicht begleiten, weil sie todkrank ist.

In dem Jugendbuch malt die Autorin anfangs eine düstere Zukunftsprognose. Die Geschichte ist spannend und lässt sich flott lesen.

Der Schriftstil ist der Zielgruppe angemessen. Deutlich wird, wie allumfassend die Überwachung des Einzelnen ist. Empathie und Freundschaft sind Werte, die nicht gefragt sind. Dafür funktioniert die Manipulation hin zum Egoismus erstklassig.

Die Flucht der Kinder ist nicht ungefährlich. Doch die Vorbereitung hat sie auf manche Eventualitäten vorbereitet. Spannend wird geschildert, wie sie ihren Weg finden und Schwierigkeiten überwinden. Ab und an wird deutlich, dass der Einfluss des Systems schon erste Spuren hinterlassen hat. Es gibt Momente, wo Ray und Seven ans Aufgeben denken. Mini ist der Jüngste. Er wächst über sich hinaus. Das zeigt sich daran, dass er Unbekannten gegenüber aufgeschlossen ist und seinen Geschwistern die Meinung sagt, wenn sie sich falsch verhalten haben.

 

„...Oma ist genial. Sie weiß so viel, wovon du nur träumen kannst. […] Wir hätten nie gelernt, die Aussagen des Systems zu hinterfragen und selbstständig zu denken...“

 

Gut wiedergegeben werden die verschiedenen und überraschenden Begegnungen, die sie auf ihren Weg haben. Je näher sie dem vermuteten Ziel kommen, desto schwieriger wird es. Das liegt nicht zuletzt daran, dass sauberes Wasser im Gebiet des Systems Mangelware ist und dass die Kinder nie gelernt haben, welche natürliche Früchte essbar sind. Sie können nur hoffen, dass die künstliche Nahrung, die sie mit sich führen, so lange wie möglich reicht.

Die Stadt ihrer Hoffnung ist ein absoluter Gegenentwurf zum System. Mehr möchte ich dazu nicht schreiben.

Sehr schöne Schwarz-Weiß-Zeichnungen illustrieren die Geschichte.

Das Buch hat mir ausgezeichnet gefallen. Ein Zitat, dessen Wahrheit Mini insbesondere erlebt hat, soll meine Rezension abschließen.

 

„...Manchmal muss man im Leben das Liebste loslassen, um es auf neue Weise zurückzubekommen...“