Rezension

Bewegender Roman

Was uns durch die Zeiten trägt -

Was uns durch die Zeiten trägt
von Marion Johanning

Bewertet mit 5 Sternen

„...Nachdem sie vom Feld zurückgekommen war, lief Luise sofort zum Aussichtsposten. So nannte sie den kleinen Fleck in den Büschen hinter der Scheune ihres Hofes, von wo aus sie unbemerkt das Nachbarhaus beobachten konnte….“

Mit diesen Sätzen beginnt ein spannender historischer Roman. Wir schreiben das Jahr 1943. In dem niederschlesischen Dorf Lindenau wartet Luise Reich darauf, dass Wolfgang, der Sohn des Lehrers, zum Erntedankfest da ist. Er wurde zum Reichsarbeitsdienst einberufen.
Die Geschichte lässt sich gut lesen. Der Schriftstil ist abwechslungsreich. Er passt sich den Gegebenheiten an.
Die Örtlichkeiten werden sehr gut beschrieben.

„...Hier lagen die Bäckerei, ein Kolonialwarenladen, der größte Bauernhof von Lindenau und der Gerichtskretscham mit der uralten Dorflinde. Letzterer war ein wuchtiges Gebäude, in dem einst das Ortsgericht getagt hatte...“

Auch die handelnden Personen werden ausreichend charakterisiert. Es sind nur kleine Andeutungen, die zeigen, wie der eine oder andere zum herrschenden Regime steht. Momentan scheint der Krieg noch weit weg. Das Leben im Dorf geht seinen geregelten Gang. Freundschaft und erste Verliebtheit spielt eine Rolle. Nicht nur Luise sehnt sich nach Wolfgang. Auch Christel, die Tochter des Bürgermeisters und Bäckers, hätte ihn gern zum Freund. Natürlich entstehen dadurch Reibereien zwischen den jungen Frauen. Christel versteht es, die anderen auf ihre Seite zu ziehen.
Wolfgang allerdings interessiert sich für die Offizierslaufbahn. Das formuliert er so:

„...Ich wäre sowieso eingezogen worden. Wäre in irgendeiner Kaserne ein bisschen geschliffen worden und hätte dann an die Front gemusst. So aber bekomme ich wenigstens noch genug beigebracht, um Offizier zu werden...“

Auch auf den Hof von Luises Eltern steht eine Änderung an. Sie bekommen den polnischen Kriegsgefangenen Marian als Helfer zugeteilt. Der junge Mann stellt sich geschickt an, obwohl ihm die landwirtschaftliche Arbeit fremd ist. Luise bekommt mit, dass er etwas Deutsch kann. Sie gibt ihm heimlich Bücher zum Lesen. Beide führen viele Gespräche. Dadurch lernt Luise die polnische Sicht auf das Geschehen kennen.

„...Polen schon immer kleine Land zwischen großen Nachbarn und oft besetzt. Wir wollen nur frei sein...“

Marian verhält sich in jeder Situation gegenüber Luise korrekt. Allerdings deutet er ihr gegenüber die Kriegsverbrechen Deutschlands an. Davon aber will sie nichts hören. Trotzdem beschäftigt es sie. Noch glaubt sie an einen Sieg Deutschlands.
Als die ersten Flüchtlinge durchs Dorf ziehen, wissen die Bewohner, dass sich der Wind gedreht hat. Haben Marian und Luise nun eine Chance?
Sehr deutlich wird herausgearbeitet, dass es nicht nur deutsche Flüchtlinge gibt. Viele Polen mussten die Ostgebiete verlassen, die nun in sowjetischer Hand sind. Ihre neue Heimat wird jetzt Schlesien. Die deutsche Bevölkerung spürt, welche Rechte sich die Sieger gestatten.
Während mancher schnell sein Fähnchen in den Wind hängt wie Christels Vater, trifft es andere hart.
Das Buch hat mir ausgezeichnet gefallen. Die Zeitverhältnisse mit all ihren Unwägbarkeiten werden sehr gut wiedergegeben. Nicht nur für die jungen Leute liegt die Zukunft im Dunkeln.