Rezension

Blut, Schmerz, Verrat, Liebe

Schneerose - Maya Shepherd

Schneerose
von Maya Shepherd

Bewertet mit 3.5 Sternen

Eine blutige Schneerose und eine ausgedörrte Wüste unter einem Himmel voller Polarlichter? All das spielt im Buch tatsächlich eine Rolle: die Schneerose repräsentiert unsere Heldin Lia, das Blut den Vampir Orlando, in den sie sich verliebt. Die Wüste steht für einen kleinen, aber wichtigen Teil der Handlung, der in Südafrika spielt, die Polarlichter für ein paar kurze Kapitel im arktischen Grönland. Eine bunte Mischung? Ja, und genau darin lag für mich das Interessante!

Ein Mädchen verliebt sich in einen Vampir. So weit, so wenig originell. Aber Lia ist nicht einfach nur irgendein Mädchen - sie führt ein zwiegespaltenes Leben. So brav und angespasst sie tagsüber in der Schule ist, so wild und zügellos ist sie nachts in den Diskotheken der Stadt... Und dafür wird sie von ihren Mitschülern gnadenlos als Schlampe und Hure gemobbt. Dabei hat Lia gar keine Wahl, sie kann nicht anders, sie fühlt einen unwiderstehlichen Zwang! Und obwohl sie sich später nur zu gut daran erinnern kann, wenn sie mal wieder einem wildfremden Mann nachhause gefolgt ist, kommt es ihr vor, als stünde sie neben sich und sehe die Erinnerungen einer Fremden. Als sich dann auch noch herausstellt, dass ihr Blut für Vampire giftig ist, wird immer klarer, dass es da ein großes, dunkles Geheimnis gibt...

Ich habe von Anfang an mit Lia mitgefiebert, auch wenn ich zuerst sehr verwirrt war. Wenn Lia so unter dem Mobbing leidet, dachte ich mir, warum hört sie dann nicht mit dem wahllosen Sex auf, der ihr das Mobbing einbringt? Aber je mehr sich das Puzzle Teilchen für Teilchen zusammensetzte, desto mehr wuchs Lia mir ans Herz, und desto besser verstand ich sie. Sie ist ein überraschend komplexer Charakter voller unerwarteter Facetten, und definitiv keine durchschnittliche Fantasy-Heldin!

Lias beste Freunde sind Lindsay und Mike, wobei aber immer wieder Spannungen entstehen, weil Mike in Lia verliebt ist und Lindsay in Mike. Manchmal hätte ich Mike wirklich schütteln können, weil er einfach nicht sieht, dass das Glück so nahe liegt! Mike und Lindsay sind typische, "echte" Teenager mit Unsicherheiten und Weltschmerz, mit Ecken und Kanten. Manchmal macht die Eifersucht Lindsay unfair und boshaft, manchmal benimmt sich Mike einfach dumm und gedankenlos... Aber eigentlich sind sie beide liebenswürdige, loyale Menschen, die mir sehr ans Herz gewachsen sind.

Dann gibt es da noch Mary, die ewig 14-jährige Vampirin, die um das Leben trauert, das ihr verwehrt blieb, und deren Blutsucht immer wieder auf grausamste Art und Weise Opfer fordert. Dabei ist sie ein richtig liebes Mädchen, das man einfach mögen muss - sie hat das Herz am rechten Fleck, sie will nicht töten, aber die Sucht übernimmt manchmal einfach die Kontrolle... Ich habe mir das ganze Buch hindurch gewünscht, dass es für sie ein Happy End geben würde.

Mein Lieblingscharakter ist Tru, die ruppige, verschlossene Außenseiterin, mit der Lia schnell eine merkwürdige aber innige Freundschaft verbindet. Auch sie ist weit mehr, als es oberflächlich den Anschein hat... Und alles weitere müsst ihr selber lesen!

Es gibt noch eine ganze Reihe anderer Charaktere, über die ich hier noch nichts sagen will, um nicht schon zu viel zu verraten. Ich fand sie überwiegend glaubhaft beschrieben, und die meisten davon waren mir sympathisch. Ausgerechnet mit Orlando habe ich mich allerdings oft schwergetan. Er ist unwiderstehlich für Frauen, und das weiß er auch und nützt es skrupellos aus... Er ist egoistisch, selbstzentriert und grausam, jedenfalls anfangs. Ich konnte nur schwer nachvollziehen, was Lia eigentlich an ihm findet! Im Laufe der Geschichte entdeckt er aber so nach und nach wieder Bruchstücke seiner Menschlichkeit, was ihn mir etwas sympathischer machte... Dennoch bin ich nicht wirklich warm mit ihm geworden.

Obwohl ein Grundmotiv des Buches die Liebe zwischen Lia und Orlando ist, wird sie eigentlich gar nicht so tiefgehend beschrieben. Es fängt an mit Sex, dann mehr Sex, dann gibt es nur ein paar wenige Szenen, in denen die beiden sich wirklich kennenlernen können, bevor die Handlung sich auch schon auf andere Dinge konzentriert. Die - wirklich interessante! - Beziehung zwischen Lia und Tru wird für mich glaubhafter, detaillierter und stimmiger beschrieben als die zwischen Lia und Orlando. Deswegen blieb die Romantik für mich leider eher mau, aber Gott sei Dank bietet das Buch noch mehr.

Die Autorin bringt viele interessante Ideen ein, die die Geschichte originell und spannend machen und neues Licht auf wohlbekannte Motive werfen. Sogar biblische Gestalten spielen eine Rolle! Der Schreibstil ist dabei sehr angenehm und flüssig zu lesen. Nur in wenigen Szenen beschlich mich das Gefühl, dass ein professionelles Lektorat hier noch etwas hätte straffen und auf Hochglanz polieren können, meist las sich das Buch für mich wunderbar. Und manchmal schwingt sich Maya Shepherd zu eindringlich dichten Schilderungen auf, die mich völlig überzeugt haben!

Es gab ein paar Dinge, die für mich in sich widersprüchlich oder nicht ganz logisch erschienen. Zum Beispiel die Handlungsorte: es wird gesagt, dass ein Teil der Handlung in Grönland spielt, also in der Arktis. Später wird aber öfter die ANTarktis erwähnt, das ist nicht dasselbe! Arktis oder Antarktis, ein Charakter gräbt sich jedenfalls vom Tafelberg unterirdisch bis dahin durch. Vom Tafelberg nach Grönland sind es ~13.000 Kilometer - das erscheint mir sogar für eine mythologische Kreatur etwas arg weit...Vor allem, da er ja nicht nur Tunnel in die Erde graben, sondern auch unter dem Meer durchtunneln müsste.

Fazit:
Für mich ist "Schneerose" ein intelligent geschriebener Vampirroman mit originellen, spannenden Ideen. Die Charaktere haben mir überwiegend gut gefallen, nur mit Orlando bin ich nicht richtig warm geworden, und die Romantik blieb für mich eher halbherzig und lauwarm... Aber ich habe das Buch dennoch mit viel Vergnügen gelesen, denn es bietet mehr als nur die Liebesgeschichte!