Rezension

Butter bei die Fische!

Der Gemeine Lumpfisch -

Der Gemeine Lumpfisch
von Ned Beauman

Bewertet mit 5 Sternen

Cyclopterus Vulgaris, oder auch der Gemeine Lumpfisch, ist ein plump aussehender Fisch. In einer nicht näher definierten, aber ziemlich nah inzidierten Zukunft befindet sich eine letzte Population des Lumpfischs in der westlichen Ostsee. Sie sind vom Aussterben bedroht.

Karin Resaints Aufgabe ist es, diesen Fisch zu kategorisieren. Sollte sich nämlich herausstellen, dass es sich um eine intelligente Spezies handelt, schützt sie das zwar nicht vor der Ausrottung, wohl aber steigt die Anzahl der Auslöschungszertifikate, die das Unternehmen, die für ihren Profit über Leichen geht, hinblättern muss.

Der Umweltverträglichkeitskoordinator und chronisch unterfinanzierte Mark Halyard arbeitet für ein solches Unternehmen und war vorübergehend im Besitz der 13 Zertifikate, die wahrscheinlich für den Lumpfisch anfallen würden, der sich als überaus trickreicher und um die Ecke denkender Fisch entpuppen könnte. Doch bis die Ergebnisse der Untersuchungen da wären, könnte er auch diese teuren Zertifikate weiterverkaufen. Er hatte diesen todsicheren Anlagetipp, dass diese Papiere in Kürze ins Bodenlose stürzen würden, weil eine Biotech-Konzern seit neuestem das Wunder vollbringt, einfach jedes Lebewesen unsterblich zu machen, indem sämtliche Daten der gefährdeten Kreaturen gescannt, hochgeladen, gespeichert und bei Bedarf reproduziert werden könnten.
Das Aussterben würde sich dann also qua Definition einfach als unmöglich erweisen und die Erlaubnis zum Ausrotten müsste dann nur noch durch einen lückenlosen Scan erreicht und nicht mehr teuer erkauft werden müssen.
Die Biobankdaten sind gefüllt, der Preis sinkt bereits, als das Undenkbare eintritt. Die Banken wurden gehackt, die Daten gründlichst gelöscht und der Kurs der Lizenz zum Töten klettert auf das Zigfache des ursprünglichen Preises. Halyards Leerverkäufe entpuppen sich als Disaster, denn er kann die geliehenen Zertifikate mangels Zaster nicht zurückkaufen. Zusätzlich ist Resaint mit ihrer Einschätzung des Lumpfischs fertig. Er hat den Status eines Genies bekommen, konnte sich aber nicht lange daran erfreuen, denn soeben wurde das letzte Habitat des Seehasen durch eine fehlgeleitete Maschine zerstört. Zeit für Halyard, sich mit Resaint zu treffen und über ihre Forschungsergebnisse zu diskutieren.

Die Unvereinbarkeit der Interessen beider Seiten wird schnell klar und der einzige Ausweg ist es, sich auf die Suche nach diesem Fisch zu machen. Ein Post aus einem Flüchtlingscamp zeigt ein Foto einer Grillparty, bei der auch ein Lumpfisch über dem Feuer hängt. Halyard und Resaint machen sich auf und besuchen die überflüssig gewordenen Gastarbeiter, die nach Hermit Kingdom abgeschoben werden sollen, dort aber nicht erwünscht sind.

Dieser satirische Knaller spielt ganz offensichtlich in unseren Breitengraden (Ostsee, Finnland, Estland und Dänemark) und mit wenig Abstand zu unserer Zeit. Wirtschaftliche Gepflogenheiten (mit Geld darf man auch verbotene Sachen machen) werden hier gnadenlos auf die Spitze getrieben und die Wahrheit hinter beruhigenden Floskeln sorgfältig zerlegt. Hermit Kingdom steht für ein großes politisches Thema, welches uns noch vor wenigen Jahren die Haare zu Berge stehen ließen, dann aber hinter Pandemie und Kriegen zurückstehen musste. Der Autor würde wahrscheinlich wegen Hochverrats seines Landes verwiesen, hätte er mit dem Klarnamen das Land benannt, dass dann in diesem Roman auch noch eine Schlüsselrolle im "Artenschutz" bekommt. Bei allem Lokalpatriotismus vergisst Beauman aber auch nicht den Rest der Welt, der mit ein paar Schlagworten (z.Bsp.Uiguren) vielleicht keinen Schauplatz erhält, so doch zumindest erkennen lässt, dass technische Entwicklungen (hier Überwachungstechnik) alle trifft. Überhaupt haben die technischen Errungenschaften immer zwei Seiten und sind auffällig oft fehlerhaft, wie die Spindrifter, die einst das Klima retten sollten, doch jetzt steuerlos über die Ostsee schippern und lokale Stürme verursachen.

Ich hatte wirklich großen Spaß beim Lesen dieses Romans, weil mir vieles vetraut, und der Autor meine "Befürchtungen" für die Zukunft ganz genau zu kennen schien. Seine Überzeichnungen malen vielleicht den Teufel an die Wand, doch sie aus dem Hier und Jetzt zu sehen, nimmt ihm den Schrecken. Und wer weiß, vielleicht schaff ich es ja rechtzeitig in die richtigen Papiere zu investieren?

Die leichtfüßige Komplexität, das intelligente Scheitern, das detaillierte Ganze und die humorvolle Art Grusel zu verbreiten sind dem Autor mit diesem Buch außerordentlich gut gelungen. Bravo! Bitte mehr davon! Die Menschheit braucht mehr davon!

Kommentare

wandagreen kommentierte am 04. November 2023 um 20:04

Du amüsierst dich bei der Endzeit?

Warum wollen die denn die Arten ausrotten?
 

Emswashed kommentierte am 05. November 2023 um 09:03

Die "Arten" sind im Weg, um an Bodenschätze zu kommen, Bauland zu generieren, oder einfach nur weil sie lästig fallen. Aber hier werden viele Themen die schief laufen an- aber vor allem ausgesprochen, auf eine intelligente, amüsante Art. Ja, dass hat mir eine gewisse Freude bereitet.