Rezension

Das Fliegen ist aufregender als die Liebe zu einem Mann und viel gefahrloser (Thea Rasche)

Unsere Hälfte des Himmels - Clarissa Linden

Unsere Hälfte des Himmels
von Clarissa Linden

Bewertet mit 4 Sternen

Im Wechsel befinden wir uns in diesem Buch im Jahr 1935 oder 1971 und erleben die zu dieser Zeit herrschenden Frauenbilder und wie die Protagonistinnen sich auf ihre Art davon befreien wollen, um selbstbestimmt ihre Träume auszuleben.

1935 geht es um Hanni und Amelie, zwei Freundinnen, die ihre Leidenschaft zum Segelfliegen fest zusammengeschweißt hat. Ihr großer Traum ist es, in Berlin gemeinsam als Pilotinnen ausgebildet zu werden und so als eine der ersten Frauen mit dem Fliegen Geld verdienen zu können. Zu der Zeit gab es zwar bereits einige wenige Fliegerinnen, aber die aufkeimende Emanzipation wurde vehement vom Regime unterdrückt. Frauen gehörten in dieser Zeit an den Kochtopf und sollten dem Führer viele Kinder schenken. Als für Hanni und Amelie die Verwirklichung ihrer Träume endlich in greifbare Nähe zu rücken scheint, lernen die beiden Freundinnen Felix kennen.

1971 erleidet Amelie einen schweren Unfall und fällt ins Koma. Uneigenständig und fast völlig von ihrem Mann abhängig reist ihre Tochter Lieselotte zu ihr, um ihr beizustehen. Dabei lernt sie Amelies Nachbarin und Freundin, eine junge Studentin, kennen. Gemeinsam begeben sie sich auf die Suche nach Amelies Vergangenheit und Lieselottes Vater. Doch hierbei erhält Lieselotte nicht nur die lange ersehnten Antworten auf ihre vielen Fragen, sondern lehnt sich endlich auch gegen ihren gefühlskalten despotischen Mann auf um ein selbstbestimmtes Leben zu führen.

Das Buch beginnt mit einem Personenverzeichnis, auf das ich allerdings nicht zurückgreifen musste, da die Zahl der handelnden Personen meines Erachtens übersichtlich blieb. Im Anhang gibt es ein Nachwort und einige interessante Hintergrundinformationen, wo unter anderem auch die Namen der Fliegerinnen aus früheren Zeiten aufgeführt sind, einige ausgewählte Ereignisse aus der Geschichte des (Frauen-)Fliegens genannt werden und weiterführende Literatur empfohlen wird.

Die Kapitel, in denen man sich im Jahr 1935 befindet, werden jeweils mit dem Zitat einer berühmten Fliegerin eingeleitet. Die Beschreibungen vom Fliegen sind so wunderbar beschrieben, dass man die Eindrücke bildlich vor Augen hat und am liebsten gleich selbst erleben möchte. Man atmet förmlich die Leidenschaft fürs Fliegen ein und auch vom Gefühl der tiefen Freundschaft zwischen Hanni und Amelie bleibt man nicht unberührt. Beim Blick auf das Cover des Buches, glaubt man eine Fotografie der beiden vertraut flüsternden fröhlichen jungen Frauen abgebildet zu sehen, die sich aufmachen werden, um ihre Hälfte des Himmels zu erobern.

„Frauen tragen die Hälfte des Himmels.“
(Chinesisches Sprichwort und Slogan der internationalen Frauenbewegung)

In diesem Buch geht es aber auch um Zeiten, in denen die Frau dem Mann unterstellt ist und ihr einziger Lebenszweck darin besteht, diesen zu bedienen und sich um die Kinder zu kümmern, die sie am besten zahlreich auf die Welt bringt. Noch in den 1970er Jahren durften Frauen in West-Deutschland nicht selbst entscheiden und mussten für viele Dinge noch die Genehmigung ihrer Ehemänner einholen. In meiner Kindheit befanden sich diese Strukturen bereits im Umbruch und es herrschte ein anderer Zeitgeist. Das Buch machte nachdenklich und ließ mich immer wieder innehalten um mich zu fragen, wie wohl meine Mutter und Großmutter diese Jahre erlebt hatten. Wie viel Energie hatten sie aufbringen müssen, um sich stückchenweise ihre Freiheiten zu erkämpfen? Und gegen welche Widerstände hat man als Frau heute noch zu kämpfen?

Dieser Roman ist auf unterschiedliche Arten emotional, aber dennoch nicht kitschig. Er ist berührend, machte mich teilweise wütend und wusste mich für sich einzunehmen. Ich mochte das Buch kaum aus der Hand legen. Und doch hatte ich nach dem Lesen das Gefühl, dass mir etwas an der Geschichte gefehlt hat. Das lag wohl zum einen daran, dass die Zeitebenen nicht gut miteinander verknüpft waren und zum anderen für meinen Geschmack zu viele Klischees verwendet wurden: Die neugierige alte Nachbarin, der herrische gefühlskalte Ehemann, die aufmüpfige Studentin, das eingeschüchterte Hausmütterchen, die lieblose Mutter und so weiter. Das erzeugte trotz guter Beschreibungen eine gewisse Oberflächlichkeit.

Insgesamt hat mich das Buch jedoch gut unterhalten, zum nachdenken angeregt und mir einige interessante Aspekte über Frauen in der Geschichte des Fliegens aufgezeigt. Wer außerdem noch etwas über die Themen Freundschaft, Emanzipation der Frau und tragische Liebe lesen mag, dem könnte dieses Buch gefallen.