Rezension

Das Jahrhundert der Mörder

Ein Diktator zum Dessert
von Franz-Olivier Giesbert

Bewertet mit 5 Sternen

Rose ist 105 Jahre alt, eine begnadete Köchin mit einem kleinen Restaurant in Marseille. Sie hat den Genozid an den Armeniern, die Schrecken der Nazizeit und die Auswüchse des Maoismus erlebt.
Deshalb hat sie vor nichts und niemandem mehr Angst. Für den Fall, dass ihr jemand blöd kommt, trägt sie immer einen Colt in der Tasche. Sie lässt sich von Mamadou, ihrem jugendlichen Gehilfen im Restaurant, auf dem Motorrad durch Marseille kutschieren, hört Patti Smith, treibt sich im Internet auf Singlebörsen herum und denkt auch im biblischen Alter immer nur an das Eine. Und sie meint, dass sie nun alt genug ist, ihre Memoiren zu schreiben: Um das Leben zu feiern und die Weltgeschichte das Fürchten zu lehren.

Hier ist es wieder einmal der Fall, dass der Klappentext einen in die Irre führt. Erwartet habe ich die Geschichte einer schrulligen alten Frau, die auf humorvolle Art und Weise auf ihr bewegtes Leben zurück blickt. Bekommen habe ich einen furiosen Abriss der Geschichte des 20. Jahrhunderts, der einem die Gräueltaten dieser Epoche auf leise, aber umso deutlichere Weise vor Augen führt. Einfach grandios!
Franz-Olivier Giesbert beginnt mit dem Völkermord an den Armeniern, bei dem die komplette Familie von der kleinen Rose umgebracht wird. Das kleine Mädchen kommt in eine Art Harem und wird dort sexuell missbraucht. Schon da lernt sie, dass sie auf diese Art über die Männer "Macht" ausüben kann und setzt dies ihr ganzes Leben hindurch ein. 
Besonders "fasziniert" hat mich ihre Begegnung mit Heinrich Himmler. Man verdrängt, dass auch solche Un-Menschen sehr wohl "menschlich" sein konnten...
Auch Hitler begegnet sie und auch dieser Kontakt ist so eigenartig, abscheulich und wieder auf diese schreckliche Art faszinierend zu lesen...
Auf ihrer letzten großen Reise, auf der sie Sartre und Simone de Beauvoir begleitet, erlebt sie schließlich das Grauen des Maoismus.
Mein Fazit:
Der wunderbar zu lesende, anschauliche und eindringliche Schreibstil tut sein Übriges, um diesen Roman zu einem meiner Highlights in diesem Jahr zu machen.
5 Sterne