Rezension

Das kurdische Leben innerhalb der türkischen Gesellschaft

Kaltfront -

Kaltfront
von Selahattin Demirtas

Bewertet mit 3.5 Sternen

Bei dem vorliegenden Buch fällt es mir besonders schwer, eine Bewertung am Ende der Rezension abzugeben. Diese Schwierigkeit ergibt sich aus den Umständen der Entstehung der im Buch versammelten Kurzgeschichten von Selahattin Demirtaş. Dieser sitzt nämlich derzeit 2016 in politischer Haft in der Türkei, war er noch in 2014 gegen Erdogan als Präsidentschaftskandidat angetreten. Aus der Haft heraus sind nun die vorliegenden Kurzgeschichten entstanden. Ich habe mich dafür entschieden, das Buch „Kaltfront“ nach meinen literarischen Leseendrücken zu bewerten und nicht nach ethisch-moralischen Gesichtspunkten zur Entstehung.

Demirtaş beschäftigt sich mit dem kurdischen Leben innerhalb der türkischen Gesellschaft. In den 14 Kurzgeschichten geht es gerade zu Beginn sehr stark um die Unterdrückung der kurdischen Minderheit in der Türkei. Meist enden die Geschichten mit einem dramatischen Paukenschlag. Im weiteren Verlauf gesellen sich auch leichtere Geschichten, die sogar komische bis tragikomische Inhalte haben, hinzu. So werden ungerechtfertigte Verurteilungen, miserable Arbeitsbedingungen, politische Unfreiheit angeprangert, sich später aber auch über die Last der Ehe oder die kuriose Nebenwirkung eines Medikamententests ausgelassen.

Sprachlich sind die Geschichten eher simpel angelegt, bergen keine literarischen Überraschungen und erfordern beim Lesen wenig Anstrengung dahingehen. Auch inhaltlich ist ein Großteil der Geschichten eineindeutig angelegt. Sie vermitteln meist eine klare Botschaft, an der ethisch-moralisch meist nicht mehr viel zu deuten ist. Die Figuren sind zum größten Teil bezüglich ihrer ethischen Position in den Geschichten klar einzuordnen in gut oder böse. Gut sind die kurdischen, ländlichen Menschen, böse der Staat mit all seinen Auswirkungen auf die Menschen. Keine Frage, der Autor hat eine Agenda, die er verdeutlichen möchte. Wer kann es ihm verübeln nach sieben Jahren in politischer Gefangenschaft?

Mir hat die Sortierung der Geschichten im Buch nicht sonderlich gefallen. Zunächst wird Schlag auf Schlag ein dramatisches Schicksal nach dem nächsten auf die Leserschaft losgelassen, um im Mittelteil zu verblassen und sogar humoristisch zu werden, um dann zum Ende hin noch einmal ein bisschen anzuziehen. Mir hätte hier eine stärkere Durchmischung der Geschichteninhalte gefallen. Es fiel mir dadurch schwer, die Lektüre des Buches zu beenden. Auch ist die Taktung mit 14 Geschichten auf 155 Seiten recht hoch. Die Kurzgeschichten machen ihrem Namen alle Ehre, das macht es aber auch anstrengend. Normalerweise bin ich ein Kurzgeschichten-Fan und politisch interessiert und kann Sammlungen dieser Art sogar am Stück lesen. Hier ist trotz Pausen in der Lektüre das Lesen zunehmend schwer gefallen. Im Gedächtnis bleiben werden mir wahrscheinlich nur vereinzelte der 14 Geschichten.

Insgesamt empfinde ich die Deutungsmöglichkeiten der Geschichten als eingeschränkt. Ich hätte mir mehr Zwischentöne gewünscht. Wer Kurzgeschichten mag, die straight forward angelegt sind, ist hier richtig. „Kaltfront“ hat geholfen, einen kleinen Einblick in die Lebensumstände unter dem Regime von Erdogan zu bekommen. Es ist solide geschrieben und eventuell eine gute Einstiegslektüre zu diesem Themenbereich. Auf jeden Fall gebührt dem Autor mein voller Respekt für seinen Mut.

3,5/5 Sterne