Rezension

"Das OM der Bienen"

Das Honigmädchen - Claudia Winter

Das Honigmädchen
von Claudia Winter

Bewertet mit 5 Sternen

Der neue Roman von Claudia Winter ist zwar auch amüsant wie "Glückssterne" oder "Aprikosenküsse", geht aber wie "Die Wolkenfischerin" noch eine Spur tiefer. 

Camilla hat eine Scheidung hinter sich, einen stressigen Job im Feinkostgeschäft ihres Vaters, eine Tochter im besten pubertären Alter, einen neuen tunichtguten und lauten Nachbarn, eine Vorladung zur Schulrektorin vor sich und danach ein grosses Problem mehr.

Um dem Problem zu entkommen, schlägt ihr Vater vor, dass Camilla mit Marie nach Südfrankreich fahren soll. Da sie ja immer meine, das Geschäft mit diesem Imker lohne sich nicht, weil er a) nicht zuverlässig liefert und b) die Preise viel zu hoch angesetzt hat, könne sie sich gleich vor Ort umschauen und mit dem Inhaber übers Geschäft reden.

Ohne eine andere Wahl zu haben lässt sich Camilla drauf ein. Nichtsahnend, dass ihr nerviger Nachbar sie schon bald begleitet. In Lorsacq angekommen, will sie am liebsten gleich umkehren, denn von im Schweinestall schlafen hat niemand was gesagt. Und auch Henri, der Imker, ist ein komischer und ruppiger alter Kauz. Doch sie bleibt, vorerst.

Wie Camilla und Marie sich auf das Abenteuer einlassen, noch viel mehr als bisher an ihre Grenzen kommen und sich herausfordern lassen hat Autorin Claudia Winter toll geschildert. Mit Hilfe von Manon, Nikos, Tobias und Henry, Raphael lernt Camilla nicht nur das Dorfleben, sondern auch die Geschichte von Henry kennen. Erst gegen Ende findet sie heraus, weshalb ihrem Vater die Zusammenarbeit mit Henry so wichtig ist.

Die Charakter sind so verschieden wie Tag und Nacht und prägen das Dorfleben, genau wie ein nie enden wollender Nachbarschaftsstreit. Camilla und Marie wollen zur Versöhnung beitragen, doch sie müssen erst mal bei sich selbst anfangen. Das machen sie auch und der Autorin ist es im Grossen und Ganzen gut gelungen, die komplizierte Beziehung zu glätten. Dennoch wurde mir Camila als zu schuldig an Maries Verhalten dargestellt, manchmal war sie einfach auch zu lieb zu Marie. Früher schon miteinander reden hätte viel gebracht, doch dann wäre diese Geschichte nicht diese Geschichte.

Henry ist eine ganz spezielle (und total gelungene) Figur, mit vielen Ecken und Kanten und man ahnt, dass das nicht alles sein kann, dass dahinter viel versteckt ist. Die Gemütszustände der restlichen Charakter fand ich nachvollziehbar geschrieben - mein Herz gehört dem Griechen Nikos! Vielleicht hätte ich gerne noch ein bisschen mehr über den geheimnisvollen Tobias erfahren. Von sich selbst gibt er nicht viel preis, und doch ist Tobias so etwas wie ein Dolmetscher der durch die Geschichte führt: einer, der Zusammenhänge erkennt und Probleme übersetzt.

Der luftige und bildhafte Sprachstil von Claudia Winter ist wahnsinnig schön, jede einzelne Zeile kann man sich wie ein Löffel Blütenhonig auf der Zunge zergehen lassen. Beim Lesen hörte ich die Bienen umher schwirren und spürte die flirrende Hitze. Die Bienenszenen sind wunderbar erzählt, von ihnen hätte ich noch wesentlich mehr lesen können.

Fazit: Am liebsten hätte ich mich in Henrys Garten gesetzt, dem "OM der Bienen" gelauscht und "Das Honigmädchen" gleich dort gelesen. Wunderschön geschrieben!
5 Punkte.