Rezension

Dem Konsum ergeben

Gegen einsam - Daniela Meisel

Gegen einsam
von Daniela Meisel

Bewertet mit 5 Sternen

Manuel ist 1,78m groß und entspricht damit dem Durchschnitt österreichischer Männer. Manuel Müller? Schmidt? Mancher merkt sich noch nicht einmal Manuels Familennamen. Wer in seinem bisherigen Leben nie gelobt oder getadelt wurde, ist in seiner Durchschnittlichkeit leicht zu übersehen. Manuel sammelt. Der Postbeamte hat keine konkreten Sammelobjekte, die er begehrt, sondern will den katalogisierten und alphabetisch geordneten Bestand an Gegenständen in seinem Haushalt von 17 000 auf 34 000 Objekte steigern. Auch Maja Kramer sammelt. Sie zeichnet die Zahl der Zusagen auf, die sie erhält, wenn sie sich als angebliche Studentin um Wohngemeinschaftszimmer bewirbt. Die Wege der beiden sonderbaren Menschen kreuzen sich, als Manuel wegen seiner Sammlung in eine größere Wohnung zieht und sich Maja mit ihrer zweiten Identität auf seine Vermietungs-Anzeige für ein Zimmer meldet. Was Manuel sammelt und warum, bleibt für Maja schwer zu verstehen. Sie macht ihm allerdings unmissverständlich klar, dass sie selbst keine Trophäe zum Protzen ist.

Auch Maja, die Steuerberaterin, wirkt durchschnittlich. Hinter ihrer Fassade von Zuverlässigkeit lauert jedoch ein anarchischer Zug, der Maja nach dem Besonderen suchen lässt. Eine Besonderheit war bisher ihre Freundschaft mit der betagten Marie, die durch einen Unfall ihr Gehör verlor und das Lernen der Gebärdensprache kategorisch ausschließt. Maja und Maria kommunizieren miteinander auf Notizzetteln. Nachdem selbst die Katze, die Manuel aus dem Tierheim holte, ihm die kalte Schulter zeigt und sich zur Katze der Nachbarin erklärt, wird Manuel von den Werbeschriften, Kundenkarten und Factory-Outlets der schönen neuen Konsumwelt wie von einer Naturgewalt förmlich verschlungen. Vom Licht des PC-Bildschirms innerlich gewärmt, muss er nicht einmal das Haus verlassen, um das Wachstum seines Bestands nutzloser Gegenstände online zu verfolgen. Bis zu diesem Punkt zweifelte ich daran, ob Daniela Meisels sonderbare Käuze es noch zu einem Lebensentwurf schaffen würden. Eine überraschende Wende ergibt sich in Zusammenhang mit dem auf dem Buchumschlag abgebildeten Papageienfisch.

Daniela Meisel skizziert ihre Figuren, denen das Temperament abhandengekommen zu sein scheint, sehr knapp und lädt Leser des in der Länge überschaubaren Romans zu Gedankenreisen in deren eigene Welt des Konsums ein. Neben ihren sensibel beobachteten Sonderlingen hat mich der präzise Blick der Biologin als Autorin auf die Natur begeistert.

Textauszug
"Die Stimme von Jutta Weigestorfer weckt mich. Sie ruft. Ein Klopfen an meiner Eingangstür. Eine andere Stimme, die ich nicht kenne. Das Klopfen wird lauter. Ich setze mich auf. Meine Lungenbläschen verklebt. Ich huste. Es ist hell im Zimmer. Rauchig und warm. Mein Kopfweh hat sich ausgebreitet. Mein Nacken schmerzt. Mein Hals. Stiche in meiner Kehle. Ein Brennen. Ich sehe die verschwommenen Umrisse meiner Couch. Meine Stehlampe hat zwei Schirme. Sie schaukeln ineinander. Der Boden wankt. Ich kippe." (S. 56)