Rezension

Der beste, gleichzeitig furchtbarste Filipenko bisher

Die Jagd -

Die Jagd
von Sasha Filipenko

Bewertet mit 5 Sternen

„Rote Kreuze“ hat mich begeistert, „Der ehemalige Sohn“ hat mir gut gefallen. So war für mich klar, dass ich auch den nächsten Roman von Sascha Filipenko lesen werde.

„Die Jagd“ war undurchsichtig wie das russische Regime, sie war maximal gefährlich, eine echte Herausforderung. Insgesamt war das Gelesene einfach nur grauenvoll und hat mich entsetzt zurückgelassen. Mein Glaube an das Gute im Menschen wurde massiv erschüttert. Der kaum zu ertragende Inhalt wird dermaßen dicht an Opfern und Tätern erzählt, dass es mir vorkam, als wäre ich live als Zuschauer dabei. Diese Tatsache lässt mich diesen neuen Roman noch ein Tucken besser finden als „Rote Kreuze“. Vielleicht ist es auch der aktuelle Kontext, der mich so stark berührt. 

Anton Quint ist Journalist. Er berichtet kritisch über das Regime sowie über die Reichen und Schönen. Anton führt ein normales, recht unaufgeregtes Familienleben bis er eines Tages aus Sicht des Oligarchen Slawin den Bogen überspannt. Die Jagd beginnt. Dabei geht es nicht darum, Anton zu erwischen und ihm eine Kugel in den Kopf zu jagen, sondern eher um perfide Tierquälerei. Erschreckend dabei ist die Geschwindigkeit, in der das Grauen voranschreitet, und die Leichtigkeit mit der es konstruiert werden kann.

Zu Beginn des Romans war ich unsicher hinsichtlich der Charaktere, wer gehört zu wem, wer sind hier die Guten. So stelle ich mir auch das Leben in Russland vor, unsicher. Man muss stets auf der Hut sein, mit wem man offen reden kann und mit wem nicht. Fragwürdig ist darüberhinaus, ob die Vertrauten von heute auch in Zukunft noch zuverlässig sind. Interessant war dann die Entwicklung der beiden Brüderfiguren, die sich jeder auf seine Weise hochgearbeitet haben im Leben. Wirklich gemocht habe ich übrigens keine Figur im Roman, es gibt allerdings verschiedene Grade der Abneigung, die ich empfinde. Mit Anton Quint habe ich so meine Probleme, weil er nicht nur sich selbst in Gefahr bringt mit seiner Berichterstattung. Vielleicht spüre ich auch den Wunsch nach dem ganz großen Coup bei ihm. Die meiste Abscheu empfinde ich gegenüber dem Oligarchen und seinem Sohn.

Das Besondere an der Jagd ist Sascha Filipenko’s Fähigkeit, uns in die Stimmung, in die Gefühlswelt seiner Charaktere eintauchen zu lassen. Da ist das Versnobte und die Langeweile der reichen Oligarchen-Kids sowie die überbordende Aufgeregtheit der Jagenden, die im gegenseitigen Wettbewerb immer noch einen draufsetzen wollen. Sie wirken wie Suchtkranke auf der Suche nach dem nächsten Kick. Sie wissen genau was sie tun, bedienen sich allerdings einer verharmlosenden Sprache, ziehen ihr Tun ins Lächerliche als wäre alles nur ein großer Witz. Auch die Darstellung Anton Quints ist gelungen. Der Journalist verliert, getrieben durch den Wunsch das Richtige zu tun, die Wahrnehmung, wann er genug für seine Ideale gekämpft hatte. 

Für mich ist es eine Sache, eine Ahnung im Sinne einer Vorstellung von einem autoritären Regime mit seinen Eliten zu haben, es eine zweite Sache hier in so deutlicher Prosa davon zu lesen und sein eigenes Bild weit ins Negative zu korrigieren. Was ganz anderes aber dürfte es sein, in so einem Regime leben zu müssen. Ganz ehrlich: Ich kann gut nachvollziehen, warum Massen von Menschen ein angepasstes Leben führen und eben nicht gegen ihre Eliten rebellieren. Bevor man ebendiese Massen leichtfertig als Mitläufer bezeichnet, sollte man unbedingt diesen Filipenko lesen.