Rezension

Der große Krieg

14, 2 Audio-CDs - Jean Echenoz

14, 2 Audio-CDs
von Jean Echenoz

Bewertet mit 4.5 Sternen

Hundert Jahre ist es her, dass der Erste Weltkrieg ausbrach, von unseren europäischen Nachbarn auch "Der große Krieg" genannt, in Deutschland angesichts der unfassbaren Ausmaße der Gräuel des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkrieges meist eine untergeordnete Rolle spielend. Zu Unrecht, wie eine ganze Reihe gewichtiger Werke zu seinen Grausamkeiten und seiner Vermeidbarkeit zeigen. Allen voran vielleicht das zutiefst erschütternde werk Erich Maria Remarques "Im Westen nichts Neues". Die meisten dieser Bücher sind nicht nur vom Inhalt aus gesehen gewichtig, sondern auch von ihrem Umfang. Pünktlich zum "Jubiläumsjahr erscheint nun in Deutschland ein kleines,  elegantes Werk des in den letzten Jahren auf solch schmale Werke spezialisierten Franzosen Jean Echenoz. Und wieder schafft dieser es, auf wenigen Seiten das Leben einiger Protagonisten und die Kriegsjahre auf beeindruckende Weise erzählerisch nachzuempfinden. Es sind die sich nicht sehr nahe stehenden Brüder Anthime und Charles und ihre Freunde Arcenel, Padioleau und Bossis aus einem kleinen Ort in der Vendée, auf die der Blick ruht. Es beginnt an einem schönen Augusttag als die Glocken die Generalmobilmachung verkünden. Das ist für die meisten aber kein Grund zum Erschrecken, sondern die Menschen feiern, jubeln, "in spätestens zwei Wochen sind wir wieder zuhause". Dass die Rückkehr sehr viel länger dauert und auch nur zweien, schwer geschädigt, gelingt, erzählt Echenoz elegant, nüchtern, zeitweise mit bitterer Ironie. Berichtet wird von der Einkleidung, dem Anmarsch, Schlacht, Verwundung, Exekution nach Desertion, Angst und Elend im Schützengraben, Sinnlosigkeit. Dabei erscheinen die Jahre wie im Zeitraffer, um immer wieder einzelne Szenen detailreich, zuweilen sogar beschaulich ins Auge zu fassen. Ein geradezu filmisches Vorgehen, fotografisch genau im einzelnen Moment. Trotz aller Distanziertheit des Autors, der sachlich und kühl bleibt, manchmal kaum zu ertragen. Interessant ist die Beschreibung des Kriegsgeschehens bezogen auf die im Kampfgebiet verbliebenen Tiere, die mich an eine ähnliche Schilderung Ernst Tollers über den "zerschossenen Wald" erinnerte, eine sehr bewegende Schilderung in seiner Autobiographie. Sie werden wie die Menschen von den Ereignissen überrollt und leiden wie diese.

Trotz der vielen, an Umfang meist deutlich gewichtigeren Bücher über den Ersten Weltkrieg ist Jean Echenoz mit "14" ein absolut eigenständiges, erschütterndes, schmales Buch gelungen. Es müsste gerade denen zur Pflichtlektüre werden, die immer noch oder immer wieder denken, massives militärisches Vorgehen wäre tatsächlich eine Option.

Markus Boysen liest zurückhaltend und genau passend.