Rezension

Der Hauch eines Lebens

Das erste Licht des Sommers -

Das erste Licht des Sommers
von Daniela Raimondi

Bewertet mit 4 Sternen

Das Buch befasst sich mit dem Thema Familie und Freundschaft dreier Generationen von Frauen. Normas trostlose Beziehung zu ihrer Mutter wird durch die enge Verbundenheit zu ihrer Cousine Donata ausgeglichen. Nach deren frühen Tod wird Norma von Elia, ihrer großen Liebe aus der Kindheit zunächst aufgefangen. Eine Tochter, die Elia während der Hochzeitsreise mit einer anderen gezeugt hat, verändert Normas Leben aber nochmals.
Das farbenfrohe Cover mit dem Portrait einer Frau erinnert an den ersten Teil dieser Familiengeschichte „An den Ufern von Stellata“. Die Unterteilung in drei Abschnitte ist in Kapitel gegliedert, die jeweils mit Jahreszahlen überschrieben sind. Es gibt zwei Erzählstränge, die sich immer wieder berühren. Einerseits blickt Norma als Ich-Erzählerin im Alter auf Leben zurück, die zweite Schiene berichtet von den Erlebnissen der Familie ab dem Jahr 1947. Wer den ersten Band der Saga kennt, trifft viele Personen daraus auch in diesem Buch wieder. Leider verfügt Normas Geschichte über keinen Stammbaum am Ende, der in  „An den Ufern von Stellata“ sehr hilfreich war. Eingestreut finden sich auch einzelne Ausdrücke oder kurze Sätze in lombardischem Dialekt, die im anschließenden Text aufgeschlüsselt werden.  
Raimondi konzentriert sich auf Normas Leben, das sich zum Großteil in London abspielt. Immer wieder werden historische Ereignisse, aber auch Filme, Musik oder Kleidung der jeweiligen Zeit angesprochen. Durch die Rückblenden nach Italien und den Einblick ins Leben einer nach Brasilien ausgewanderten Tante entsteht ein länder- und kulturübergreifendes Bild eines halben Jahrhunderts. Wobei einige geschichtliche Aspekte zwar wortreich dargestellt werden, zum Verständnis der Geschichte aber nicht sonderlich beitragen. Im Kern beschäftigt sich die Autorin mit Themen wie Freundschaft und Loyalität, Vertrauen und Treue, familiärem Zusammenhalt und Fehlern in Mutter-Tochter-Beziehungen; aber auch mit dem Umgang mit unserer Erinnerung.
Vom ersten Buch war ich vollkommen begeistert. Die Familiengeschichte war mit so viel Leben erfüllt und obwohl die Ereignisse in einem eher nüchternen Schreibstil wiedergegeben wurden, konnte man sich in die Situationen hineinversetzen und mit den Personen mitfühlen – und die Protagonisten waren greifbar. Im vorliegenden Buch erschien mir der Schreibstil noch etwas distanzierter und an etlichen Stellen wie ein Protokoll, etliche Inhalte wurden nur kurz gestreift. Das kann an meiner persönlichen Sichtweise liegen oder aber auch an der ausgewählten Zeitepoche, die noch zu nahe liegt und man sie daher nicht mit einer gewissen Verklärtheit erzählen und betrachten kann. Oder einfach an der Tatsache, dass es in der Hauptsache um Normas Geschichte geht, die auch von Traurigkeit und Rückschlägen begleitet wird.
Eine schöne Fortsetzung der Familiengeschichte ist es allemal. Und eine detaillierte Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Frauenbildern und ihrem Platz im Leben.