Rezension

Der Leviathan der amerikanischen Literatur

Unendlicher Spaß - David Foster Wallace

Unendlicher Spaß
von David Foster Wallace

Bewertet mit 5 Sternen

Dieses Buch verschlingt uns, kaut uns durch, weicht uns auf, verformt uns. Wenn es uns dann ausspuckt, wollen wir nur eines: wieder von ihm gefressen werden.

»Ich befinde mich in einem Büro, umgeben von Körpern und Köpfen.«

 

 

Hier, bei diesem ersten Satz, hatte ich bereits verloren.

Eigentlich ist es fast anmaßend dieses Buch zu rezensieren. Denn es in seiner Gänze zu verstehen, alle seine Windungen, Ecken und Kanten zu erkunden, ist eine Aufgabe, die kaum zu schaffen ist. Auch nach mehrfacher Lektüre entdecke ich immer noch diese wundervollen Details, welche diesen Titel so einzigartig machen.

Dem Übersetzer Herrn Blumenbach, der sage und schreibe 6 Jahre für die Übersetzung aufwenden musste, sollte man für jede Sekunde danken und am besten direkt respektvoll erbleichen. Das Buch ist ein über 1500 seitiges Monstrum, zusammengehalten von Wallace´ verschachtelten, komplex=komplizierten Sätzen. Der Klebstoff sind seine Wortkreationen und ,-kombinationen. Endlos erfindungsreich spielt er mit Sprache und lässt den Leser hoffnungslos hechelnd hinter sich zurück.

 

Und hier scheiden sich die Geister. Wir haben ein Paradebeispiel für polarisierende Literatur. Und beide Parteien haben fraglos einen berechtigten Standpunkt!

Einmal diejenigen, die sagen: Ich lese, weil ich unterhalten werden möchte. Die Seele baumeln lassen, entspannen. Es soll die Langeweile vertreiben und ein netter Begleiter für eine gemütliche Leserunde. Natürlich. Warum nicht? So darf es doch gerne sein.

Auf der einen Seite Menschen die sagen: Ich werde gegen dieses Ding kämpfen, egal was es kostet und wielange es dauert. Es wird harte Arbeit, aber ich werde mehr als reichlich belohnt werden. Ja ich möchte einen Satz lesen, an dessen Ende ich nicht mehr weiß worum es urspünglich einmal ging. Damit ich diesen Satz, in dem ich mich bereits viermal freudig verloren habe, nun noch einmal lese. Ja ich möchte bei 25% der, in diesem Buch verwendeten, Begriffe keine Ahnung haben worum es geht. Ich möchte die poetische Gewalt seiner Worte spüren, wenn Wallace sich in seinem eigenen Kopf verirrt.

 

Nun ich kann nicht vermeiden suggestiv zu sein, dafür liebe ich "Unendlicher Spaß" zu sehr. Aber man sollte realistisch sein. Es wird nicht jedem Freude bereiten. Ich finde auch bei manchen Titeln keine Freude, die andere Leser in ihren Regalen nicht missen wollen. Was ich tun kann, oder viel mehr versuchen kann: Ich werde mich bemühen dem Buch den Schrecken zu nehmen und wenn damit auch nur eine Person Spaß an diesem Buch findet, darf ich schon zufrieden sein.

 

Also los geht´s. Das folgende Unterfangen ist zum Scheitern verurteilt. Eine Inhaltsangabe von "Unendlicher Spaß"... Ich versuche es trotzdem. Wünscht mir Glück.

Nahe Zukunft. Ein Staatengebilde namens O.N.A.N, bestehend aus den USA, Kanada und Mexiko. Wir schreiben z.B. das Jahr des "Glad-Müllsacks", denn die Wirtschaft wird angekurbelt, indem Unternehmen die Jahre nach ihren Produkten benennen dürfen. Ein Film namens "Unendlicher Spaß", der den Betrachter in seinen Bann zieht bis dieser, ohne den Blick abwenden zu können, verdurstet. Eine Terroristengruppen, die Attentäter im Rollstuhl, wollen diesen Film in ihren Besitz bringen, um die O.N.A.N zu erpressen.

Hal Incandenza, der Sohn des Regisseurs ebenjenen Films, lebt in einer elitären Tennis-Akademie, lernt dort vielsagende Dinge wie "Neoklassische Prämissen in zeitgenössischen präskriptiven Grammatiken" und beschäftigt sich nebenbei damit ein Lexikon auswendig zu lernen. Er leidet (wahrscheinlich) unter dem Suizid seines Vaters, der für seinen Freitod den Kopf in eine modifizierte Mikrowelle steckte, mit nicht erläuterungsbedürftigen Folgen. Seine zwangsneurotische Mutter trägt wenig zu einer gesteigerten Zufriedenheit ihres Sohnes bei. 

Auf der anderen Seite der Stadt ist Don Gately als Wärter/Betreuer eines Drogenentzugsheims tätig. Er hat einen riesigen Schädel und betreut die seltsamsten Gestalten. Eine Frau, welche so wunderschön ist, dass sie stetig einen Schleier trägt (außerdem Hauptdarstellerin im Film "Unendlicher Spaß"), oder der obligatorische katzenquälende kleine Ex-Junkie zählen zu seinen Schützlingen. 

 

Dies ist ein Bruchteil von Wallace´ Personal. Es gibt Unmengen weiterer, völlig skuriller, absurder und komischer Gestalten. Mitleidserregend, abstoßend, faszinierende Wesen, deren verrücktes Innenleben den Leser nicht mehr loslässt. Das ist die Einzigartigkeit des Romans. Er spiegelt die unendlichen Facetten und Möglichkeiten des Lebens wieder. Behandelt alles von Hedonismus, Medien, Materialismus, Konsumgesellschaft, Drogensucht und Depressionen. Und das wichtige und geniale dabei ist: Wallace nimmt sich nie zu ernst. Er schreibt nicht mit dem erhobenen Zeigefinger, er lässt einfach die Geschichte und ihre Figuren sprechen.

Dieses Werk ist eine genmanipulierte Babuschka. Schicht um Schicht um Schicht taucht aus dem Nichts auf, von dort wo eigentlich gar nichts sein dürfte. Handlungsstränge laufen mit einer perfektionistischen Genialität ineinander, die ihresgleichen sucht. Es gibt hunderte Seiten von Fußnoten, welche aber natürlich nicht nur trockene Erläuterungen bieten, sondern eigene kleine Geschichten erzählen und Hintergründe liefern. Zum Beispiel die Filmographie von Hals Vater, der familienintern nur "Er selbst" genannt wird. Das ist so großartig, so eine Liebe fürs Detail. 

Seinen Stil habe ich noch bei keinem anderen Autoren gefunden. Eine ganz eigene, einzigartige Bildkraft. Aussergewöhnliche Beschreibungen. Ein fantastischer, intelligenter, selbstironischer Humor. So sollte es immer sein: Alle paar Seiten liest man einen Satz, den man sich am liebsten tätowieren lassen möchte, der einem einen wohligen Schauer über den Rücken jagt. Jedes Wort, jeder Buchstabe hat seinen Platz, als hätten sie nie woanders hätten stehen sollen.

"Unendlicher Spaß"?: Eine fragile, mit den Leiden der Welt vollgestopfte Büchse der Pandora. Eine dreckige, aber ehrliche Reflexion. Ein menschliches Buch, allzu menschlich. Leider viel zu kurz.

Wagen Sie einen Blick?

 

 

Kommentare

Sven kommentierte am 07. Oktober 2013 um 14:18

Nö!

Grandiose Rezension aber... lass mich nochmal kurz überlegen...nein, tut mir leid, es bleibt beim "Nö!".

Thomas Rei kommentierte am 07. Oktober 2013 um 15:04

Der Tag wird kommen. Und dann wirst du verstehen, wie sinnlos dein vorheriges Leben war :D

Frieda kommentierte am 23. Oktober 2013 um 20:53

Ja, ich glaube das Buch will irgendwann zu mir. ;)

Thomas Rei kommentierte am 23. Oktober 2013 um 21:34

Sehr schön :) Ich hoffe es macht dir Spaß!

LadyIceTea kommentierte am 18. August 2016 um 15:47

Wow! Mega Rezi!

katzenminze kommentierte am 26. August 2016 um 18:48

Haha: "Leider viel zu kurz". Super! :D Hört sich an, als sei dieses Buch zumindest einen Versuch wert!