Rezension

Der Völkermord zwischen den Zeilen

Gleißendes Licht -

Gleißendes Licht
von Marc Sinan

Kaan wächst behütet in Bayern auf. Das einzige, was daran erinnert, dass er türkische Wurzeln hat, ist sein Name. Seine Mutter hat hart daran gearbeitet, sich anzupassen und Kaans Erfolg zu fördern. Sein musikalisches Talent wird früh entdeckt, als Erwachsener ist er ein bekannter Musiker und Komponist. Als seine Großmutter in hohem Alter stirbt, reist Kaan das erste Mal seit Jahren wieder in die Türkei und wird nach und nach mit der Vergangenheit seiner armenisch-türkischen Familie konfrontiert, in der das Trauma des Völkermords am armenischen Volk noch spürbar ist.

Ich hatte mir so viel von diesem Buch versprochen und hatte mir schon vorab Formulierungen zurecht gelegt wie "meisterhaft und feinsinnig komponiert", was natürlich einerseits klug und literarisch klingen sollte und andererseits zeigen sollte, dass auch ich auf den Komponistenhintergrund des Autors anspielen kann. Leider kam es dann etwas anders. Das Buch beginnt zwar mit einer schockierenden Szene im frühen 20. Jahrhundert, aber dann wechselt es in die 1990er Jahre und wir begleiten das egozentrische, unsympathische Musikgenie recht lange dabei, wie er erst die Liebe seines Lebens aufreißt und sie dann über Jahre hinweg heruntermacht. Wenn es nicht im Klappentext stünde, wäre ich selbst nicht unbedingt auf das Thema Transgenerationale Weitergabe von Traumata gekommen. Mein Eindruck wäre, dass Kaan eigentlich zu wenig Zeit mit seiner armenischen Großmutter verbracht hat, um durch Sozialisierung solche Dinge weitergegeben bekommen zu haben. Aber die Symptome, die sich dafür in der Literatur und verschiedenen Berichten finden, sind so unspezifisch, dass auch Kaans Probleme darunter fallen könnten. Ansonsten ist Kaan als Protagonist einfach nur umsympathisch, selbstabsorbiert, selbstverliebt und unreif.

Das Buch kommt sehr künstlerisch und verkopft daher, sodass man vieles über den Völkermord nur zwischen den Zeilen erzählt bekommt. Hauptsächlich dreht sich das Buch  um den umsypathischen Protagonisten, ohne dass dieser jedoch seine möglichen Probleme reflektiert. Es werden Situationen geschildert, ohne dass sie eingeordnet werden (können) und teilweise driftet die Geschichte sogar ins Mystische ab. Die Geschichte selbst ist sehr fragmentiert und springt zwischen verschiedenen Zeiten und Perspektiven hin und her. Dies war mitunter verwirrend und es war schwierig, die verschiedenen Teile der Geschichte zu einem zusammenhängenden Ganzen zu verknüpfen. Der Schreibstil ist recht poetisch mit Verweisen auf die Musik, dies verleiht dem Buch eine gewisse Schönheit, aber es führt auch dazu, dass man sich beim Lesen von der Brutalität der Ereignisse entfremdet fühlt.

Ich möchte dem Autor gar nicht seine autobiographischen Bezüge absprechen oder abwerten. Aber ich kann unzufrieden mit diesem Buch sein. Ich habe es in die Hand genommen mit dem Ziel mich von der schrecklichen Geschichte vieler Menschen berühren zu lassen und mehr über diesen Völkermord zu lernen. Doch beides hat  dieses Buch bei mir verfehlt. Insgesamt ist das Buch in seinem Stil künstlerisch, aber aufgrund seiner Fragmentierung und seines unsympathischen Protagonisten war es für mich schwer zugänglich. Es ist sicherlich ein wichtiges Werk, das den Völkermord an den Armeniern auf eine neue und kreative Weise behandelt, aber es ist nicht unbedingt für jeden Leser oder jede Leserin geeignet.