Rezension

Deutschland - Das Paradies?

Paradiessucher - Rena Dumont

Paradiessucher
von Rena Dumont

Bewertet mit 4 Sternen

"Paradiessucher" beinhaltet echte und fiktive Erfahrungen der Autorin, die mich wirklich sehr bewegt und mitgerissen haben. Irgendwie sind die Zustände der Ostblockländer komplett an mir vorbeigegangen. Muss ich mich nun schämen, das ich so ahnungslos war oder zählt die Entschuldigung, das ich sehr jung war zur Zeit der beschriebenen Flucht und andere Dinge für mich zählten? Ich war damals quasi ein Küken und ging noch zur Schule. Ich hatte andere Sorgen, obwohl sich Lenkas Gedanken und meine nicht wirklich voneinander unterscheiden. Klamotten und Jungs waren für mich auch ziemlich aktuell. Ich habe auch geklaut wie ein Rabe und es war ein echter Volkssport unter uns Freundinnen, bis wir erwischt wurden, dann war es plötzlich nicht mehr witzig. Lenka würde die Abschiebung drohen, mir nicht. Für mich gab es andere Strafen.
  
Ich fand das Buch sehr authentisch und konnte mich sehr gut in die Ängste und Sorgen von Lenka und ihrer Mutter hineinfühlen. Vor der Flucht, während der Flucht und auch danach, denn es dauert bis sie ankommen (damit meine ich jetzt ankommen in dem Sinne von Zuhause fühlen) und die Sorge doch wieder zurück zu müssen herrscht lange vor. Zwischenstation machen die beiden in einem Asylantenheim und da geht es echt ab, da haben sich mir teilweise die Nackenhaare aufgestellt. Kein Ort für ein 17 Jähriges Mädchen definitiv.

Ich fand den Lerneffekt für mich sehr hoch, denn ich sehe die Unterschiede zwischen Ost und West, aber auch das Deutschland nicht immer das bietet, was erwartet wird. Meine Schwiegerfamilie ist 1979 aus Russland umgesiedelt und haben erst einmal zu 8 Personen in einer Notwohnung gehaust. Man überlebt die Enge, aber dennoch zerrt es an den Nerven. Für Lenka und ihre Mutter gibt es auch nur einen Raum, aber letztendlich doch keine Privatsphäre. Es hat mich gleichzeitig geschockt und dennoch fasziniert.

Ein Buch, welches unbedingt gelesen werden muss, denn es beinhaltet Wahrheiten und jede Menge Authentizität. Ich fühlte mich Lenka sehr verbunden und litt und bangte mit ihr. Vom Alter her bin ich wohl eher ihre Mutter, aber ich habe es dennoch nicht vergessen mit welchen Sorgen ich mich mit 17 herumgeplagt habe. Mein Sohn, fast 17 hat es um einiges leichter, denn er darf das Lernen was er möchte und braucht keine Freunde in der Partei, denn hätte er diese nicht, würde er auch nicht lernen dürfen was er wollte. Sein Leben wäre schon vorprogrammiert und vorherbestimmt. Ich kann Lenkas Wunsch also verstehen in den goldenen Westen zu flüchten, auch wenn es erst einmal nicht so erscheint als würde es sich zum Besseren wenden für Mutter und Tochter.

Lenka nimmt ihr Schicksal selbst in die Hand. Sie will nicht warten das Veränderung eintritt. Sie kämpft dafür zur Schule gehen zu können und das weist für mich auf einen wirklich starken Charakter hin. Immerhin hat sie alles aufgegeben was ihr wichtig war um ihre Träume zu leben. Nun ist sie in einem anderen Land, kann die Sprache nicht und auch die Zukunft ist ungewiss. Die Freunde die man hatte, das Essen was man kannte, die Sprache, die man sprach, die Familie die man liebt und mit der man nur noch oder Brief oder  Telefon kommunizieren kann........ alles ist anders und muss neu entdeckt werden. Man fängt von 0 an und hofft das Beste.

Das Ende ist offen und ehrlich gesagt würde ich mich über eine Fortsetzung sehr freuen! Für mich war das Debüt der Autorin eine echte Entdeckung!