Rezension

„Deutschland hat keine Kolonien!“ – Äh, bis auf ein kleines Dorf in Ostafrika…

Meine Farm in Afrika - Kerstin Decker

Meine Farm in Afrika
von Kerstin Decker

Bewertet mit 4.5 Sternen

Frieda von Bülow entspricht weder dem Schönheitsideal ihrer Zeit noch kann sie als Angehörige des verarmten Adels standesgemäß leben. So bleibt ihr im Deutschland des 19. Jahrhunderts nichts anderes übrig als in Schande und Einsamkeit zu altern. Oder?

Carl Peters, Privatdozent und Amateureroberer, macht Bismarcks Politik zunichte, indem er Ostafrika als deutsche Kolonie annektiert – im Namen seines unwissenden und unwilligen Vaterlandes. Als Witzfigur der Kolonialmächte taucht er in Afrika auf und überrascht sie alle!

Der selbsternannte Eroberer und Afrika werden Friedas Schicksal.

Eine hochinteressante Biographie, die nicht nur das Leben Frieda von Bülows portraitiert, sondern auch ein großes Stück Kolonialgeschichte. Wie waren die Franzosen und Engländer in Afrika vernetzt? Wie sah Bismarcks Politik aus und wer um alles in der Welt war Carl Peters? Wie war das wirklich mit den deutschen Kolonien? Das Leben Emir Paschas spielt eine genauso große Rolle wie Carl Peters‘. Kolonialgeschichte ist so wichtig wie Friedas persönliches Schicksal.

Das Buch bietet sehr viel mehr als eine Biographie. Manche Szenen muten, da sie eine bestimmte Aussage tragen sollen und deswegen auf ausgesuchtem Quellmaterial beruhen, etwas naiv und verharmlosend an, doch da das Buch eine gekonnte Balance zwischen romanhafter Erzählkunst und geschichtlich-sachlicher Darstellung hält, stört das nicht weiter. Primärquellen werden zahlreich zitiert ohne den Leser zu ermüden oder zu überfordern; zusammen mit einer Vielzahl von Schwarzweißillustrationen – Fotos, Zeichnungen, Karten – führen sie dem Leser die Zeit plastisch vor Augen.

Eine großartige Darstellung eines vergessenen und verdrängten Stücks Geschichte. Wer weiß schon, dass Deutsch-Ostafrika entstand, weil ein frustrierter, verkrachter Privatdozent ohne Zukunftsaussichten sich unbedingt einen Namen machen wollte? Ein Alptraum Bismarcks, ein schlechter Scherz für alle Kolonialmächte, von denen keiner diesen Unbekannten ernst nahm, und verhängnisvoll für Ostafrika.

Auch wenn mir einige Stellen zu naiv und einseitig waren und der Titel eher eine ausführliche Biographie Frieda von Bülows verspricht statt eines geschichtlichen Abrisses, hat es mich sofort gepackt. Anspruchsvoll ohne sich in akademischer Schnörkelei zu verlieren und unterhaltsam ohne banal zu werden. Eine klare Leseempfehlung für alle, die Biographien lieben und sich ein interessantes Stück deutscher Geschichte nicht entgehen lassen wollen.