Rezension

Die Glücklichen

Die Glücklichen - Kristine Bilkau

Die Glücklichen
von Kristine Bilkau

Bewertet mit 4.5 Sternen

Wir können sie uns sehr gut vorstellen, ja vielleicht ähneln wir ihnen sogar, den beiden Protagonisten des Romans von Kristine Bilkau.
Sie sind "Die Glücklichen" und scheinen wie selbstverständlich davon auszugehen, ein gewisses Recht auf dieses Glück zu haben, das ihnen nicht gerade in den Schoß gefallen, aber auch nicht hart erarbeitet scheint. Sie gehören zu der Schicht der Jungen, Erfolgreichen, Wohlsituierten, die gerade in den Städten so omnipräsent scheint.
Isabell ist Mitte Dreißig, Cellistin und Mutter des kleinen Matti. Gerade die Babypause beendet, scheint alles gut zu laufen. Sie hat eine Abendanstellung bei einem Musicaltheater, vielleicht nicht das, was sie sich einst erhofft hatte, aber die Arbeitszeiten passen und die Kinder- und Haushaltszeit kann sie sich mit Georg, Redakteur einer Tageszeitung gut aufteilen. Selbst ein Kitaplatz ist rasch gefunden.
Wäre da nicht dieses Zittern ihrer Hände, Lampenfieber, Versagensängste, vielleicht ihrer neuen Rolle als Mutter geschuldet, dem übermäßigen Druck, dem besonders Frauen in ihrer Doppel- oder Dreifachrolle unterstehen. Einerseits dem Wunsch, aber oft auch ökonomischen Druck, ihren Beruf wieder aufzunehmen, andererseits dem Bedürfnis und Anspruch, ganz für ihr Kind da zu sein. Isabell hält dieser Belastung nicht stand, sie verliert ihre Anstellung, treibt ziel- und motivationslos vor sich hin.
Wäre das nicht schon problematisch genug, steht auch Georgs Zeitung im Zuge der allgemeinen Pressekrise vor dem Aus. Auch Georg wird seinen Job verlieren.
Von heute auf morgen aus der Komfortzone ihres Lebens vertrieben, wird deutlich, wie sehr die Beiden von Äußerlichkeiten wie Jobs, Altbauwohnung, Biolebensmittel, Cafébesuche und schicke Kleidung abhängen. Welch großer Teil ihrer Identität davon bestimmt werden. Besonders Isabell hält trotzig an ihren alten Lebensumständen fest. Vor allem reden die Beiden nicht offen miteinander über ihre Gefühle und Ängste. Sie fliehen vielmehr in Traumwelten. Georg studiert weltweit Immobilienanzeigen, träumt vom Umzug aufs Land, Isabell nimmt über soziale Netzwerke teil an einer ihr unbekannten Familie, verliert sich in deren geposteten Fotos einer heilen Welt.
In vielem trifft Kristine Bilkau einen Nerv der Zeit. Die Angst der sogenannten Mittelklasse vor dem sozialen Abstieg, die Gentrifizierung der Städte, die Rationalisierungen im Arbeitsbereich, die Furcht vor der Unvereinbarkeit von Job, persönlicher Freiheit und Familie sind Dinge, die sicher viele der Generation 30+ umtreiben. Die Autorin schildert sie so sachlich wie einfühlsam. Sie macht aber auch deutlich, wie schwer es dieser Generation fällt, aus dieser Situation auszubrechen.
"Er hat gedacht, sich den Anspruch auf Sicherheit verdient zu haben. Doch es gibt keinen Anspruch auf Sicherheit."
Ein Satz, dessen Wahrheit wir kennen, den wir aber im Alltag gern verdrängen.
Kristine Bilkau zeigt aber auch, was der Verlust dieser Sicherheit für menschliche Beziehungen, für Ehen und Familien bedeuten kann. Ganz leise untergräbt die Angst vor dem Scheitern die Nähe, das Vertrauen. Im Roman wird das sehr sensibel geschildert, wir hören sowohl Isabell als auch Georg. Bilder wie die Bauplane, die die Zimmer in ein opakes Zwielicht taucht bevor sie nach Ende der Renovierungsarbeiten beseitigt wird und ein nahezu brutal helles Sonnenlicht in das Heim eindringt, verstärken die Stimmung geschickt. Der Autorin gelingt es ebenso wie diese Ängste auch Momente großer elterlicher Zärtlichkeit einzufangen, Gedanken über die Vergänglichkeit, auch der Tod ist ein Thema. Am Ende schenkt sie ihren Protagonisten wenn auch kein Happy End, so doch einen hoffnungsvollen Ausblick. 
"Es ist nicht alles so gelaufen, wie sie gedacht haben, na und."
Den Leser wird dieses kluge Buch noch lange beschäftigen, genauso wie die Frage, was wir denn nun eigentlich wirklich brauchen, um zu den "Glücklichen" zu gehören. Und was uns immer wieder davon abhält, dieses Glück auch zu erkennen und zuzulassen.