Rezension

Die gute Mutter

Frau im Dunkeln - Elena Ferrante

Frau im Dunkeln
von Elena Ferrante

Bewertet mit 5 Sternen

Leda ist bald fünfzig. Schon lange geschieden, die beiden erwachsenen Töchter sind nach Kanada zu ihrem Vater gezogen, mietet die Professorin für Anglistik an der Universität Florenz für den Sommer eine Wohnung am Meer. Am Strand trifft sie auf eine Großfamilie, deren Verhalten, laut, ruppig, ordinär, sie an ihre eigene Kindheit und Jugend in Neapel erinnert. Einzig die junge Mutter Nina mit ihrer kleinen Tochter Elena sticht aus dieser Gruppe angenehm hervor. Leda beginnt, Resümee zu ziehen über ihr Leben, ihre Töchter, ihre Rolle als Mutter und Frau.

Frau im Dunkeln ist ein schmaler Band, Jahre vor der Neapolitanischen Saga geschrieben. Viele Elemente die Elena Ferrante in ihrem epischen Werk verwendet hat, tauchen schon hier bei diesem Roman auf. Ein bisschen erscheint mir die Autorin wie eine italienische Lily Brett, die immer wieder die gleiche Geschichte in diversen Varianten erzählen möchte.  Hier ist es die Endvierzigerin Leda, eine beruflich erfolgreiche Frau, selbständig, gebildet, intellektuell, die im Mittelpunkt der Handlung steht. Die Begegnungen, die sie in ihrem Urlaub macht, lassen sie über ihr Leben nachdenken. Leda wollte mehr sein in ihrem Leben als nur Mutter und Ehefrau eines erfolgreichen Mannes.  Sie will raus dem Schatten ihres Mannes, hat ein enormes Bedürfnis frei zu sein, nach „Kreativität, Lob, Anerkennung, eigenem Geld“.

 „Körperliche Müdigkeit ist wie ein Vergrößerungsglas. Ich war zu müde, um zu arbeiten, zu denken, zu lachen, zu weinen, diesen Mann zu lieben, der zu intelligent war, zu verbissen damit beschäftigt, seine Wette mit dem Leben zu gewinnen, zu abwesend. Liebe erfordert Energie, und die hatte ich nicht mehr. Wenn er zärtlich wurde und mich küsste, wurde ich nervös, ich fühlte mich missbraucht, als ein Anreiz für seine im Grunde einsamen Gelüste.“
Elena Ferrante kratzt hier an einem fast verbotenen Thema, in dem sie die absolute Mutterliebe in Frage stellt. Leda geht sehr hart mit sich selbst zu Gericht. Es ist eine ehrliche und offene Innenschau. Mutterliebe ist kein Naturgesetz, man wagt es nur oft nicht daran zu rütteln.