Rezension

Die Menschen, die man am meisten liebt, sind die, die einen auch am meisten verletzen

Wer morgens lacht - Mirjam Pressler

Wer morgens lacht
von Mirjam Pressler

Ich muss sie loswerden, unbedingt. Ich halte es nicht länger aus, dass sie sich in mein Leben einmischt und mir die Luft zum Atmen nimmt. Ich muss sie loswerden, das ist meine einzige Chance, wieder nur ich zu sein oder endlich nur ich, so genau weiß ich das nicht, woher soll ich es auch wissen, es gab mich nie ohne sie, von Anfang an. Bis heute sitzt sie mir im Genick, und wenn es mir mal gelingt, sie ein paar Tage zu verdrängen, taucht sie in meinen Träumen auf. Sie ist im Hintergrund immer da.

Inhalt

Erst Jahre später kann Anne sich den Gedanken an ihre verschwundene Schwester Marie stellen. In all der Zeit war Marie immer Bestandteil von Annes Leben. Doch dies soll nun ein Ende haben. Zu sehr leidet Anne unter der ständigen Präsenz ihrer Schwester. Zu sehr, raubt es ihr den Atem. Zu wenig, gelingt es ihr, ihr eigenes Leben zu leben. Sie will sich mit der Vergangenheit aussöhnen. Nimmt sich Block und Stift zur Hilfe, um ihre Erinnerungen aufzuschreiben. Aber sind die Erinnerungen wahr oder durch all die Zeit verklärt?

Meine Meinung

Verstörend, düster und beklemmend – so würde ich das Buch von Mirjam Pressler beschreiben. Und auch wenn all diese Wörter eher negativer Bedeutung sind, so wurde ich dennoch sogartig in die Handlung hineingezogen und konnte mich kaum von der Geschichte lösen. Zunächst war der Schreibstil eher gewöhnungsbedürftig, verzichtet die Autorin bei ihrer Erzählung doch ganz auf die wörtliche Rede. Doch schnell wusste die Geschichte mich gefangen zu nehmen und ich wollte – nein, ich musste – wissen, warum Marie verschwunden ist, warum Anne so sehr unter den Erinnerungen an sie leidet und was überhaupt in der Familie geschehen ist.

Anne und Marie sind Schwestern, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Marie tyrannisiert ihre Familie, ihre Launen sind für alle unerträglich und dennoch bekommt sie alles, was sie haben möchte, ist willensstark und schön. Anne ist das genaue Gegenteil. Musterschülerin, introvertiert, menschenscheu und immer im Schatten ihrer großen Schwester. Marie lernt der Leser nur durch die Erzählungen von Anne kennen, die sie in einer Art Hassliebe beschreibt. Einerseits möchte Anne ein Stück weit so wie Marie sein, andererseits verabscheut sie Marie für viele ihrer Taten, ist von ihr entsetzt, beneidet sie, findet ungerecht, dass Marie bekommt, was eigentlich ihr zusteht.

Ihre Auseinandersetzung mit der Vergangenheit reißt alte Wunden auf, bringt schmerzhafte Erinnerungen zu Tage, aber birgt auch Hoffnung. Hoffnung darauf, dass Anne sich mit all dem was damals geschah aussöhnt. Denn nur durch dieses Aussöhnen und Abschließen, kann es ihr gelingen einer Zukunft ohne belastende Gedanken entgegen zu sehen.

Was ich von dem Ende halten soll, weiß ich immer noch nicht so genau. Es ist offen und hat nicht eine der für mich wichtigsten Fragen geklärt. Trotzdem war es für mich der eindringlichste Teil der Geschichte, der am meisten unter die Haut ging.

Fazit

"Wer morgens lacht" zeigt ein düsteres Familien-Portrait auf, welches sprachlich feinfühlig und intensiv ist. Keine leichte Kost und vor allem keine, die ich in die Kategorie "Jugendbuch" einsortieren würde, da sie mir dafür zu anspruchsvoll ist.