Rezension

Die Suche nach den Wurzeln

Das Bernsteincollier - Eva Grübl-Widmann

Das Bernsteincollier
von Eva Grübl-Widmann

Bewertet mit 5 Sternen

„...Die Menschen des Krieges, wie Ingas Mutter sie immer nannte, wollten die Zeit des Krieges vergessen und sprachen nicht gern darüber...“

 

Wir schreiben das Jahr 2015. In Schweden wird Inga zu ihrem Großvater gebeten. Er ist über 90 Jahre alt und teilt ihr mit, dass er Krebs hat. Eigentlich wollte er ihr auch ein Stück seines Lebens erzählen, doch noch schweigt er.

Dann wechselt die Geschichte ins Jahr 1911. In Ostpreußen verdingt sich Ernas Mutter als Küchenhilfe. Sie war in begüterten Verhältnissen aufgewachsen, aber nach dem Tode ihres Mannes waren nur Schulden übrig.

Die Autorin hat einen fesselnden Roman geschrieben. Die Geschichte wird in zwei Zeitebenen dargestellt. In der Gegenwart begibt sich Inga auf die Suche nach den Wurzeln ihrer Herkunft. In der Vergangenheit erfahre ich Stück für Stück die Lebensgeschichte von Ingas Vorfahren.

Der Schriftstil lässt sich angenehm lesen. In der Vergangenheit hat begegnen mir zwei starke Frauen, Das sind Erna und ihre Tochter Ebba. Erna ist alleinerziehend. Sie wurde von Ebbas Vater verraten und betrogen. Sie gibt aber nicht auf und sorgt selbst in schwierigsten Zeiten für ihre kleine Familie. Dabei legt sie Wert darauf, dass ihre Tochter eine gute Bildung mitbekommt. Das, was ihr schon die Mutter vermittelt hat, gibt sie nun an die Tochter weiter.

Gut dargestellt werden die Verhältnisse in Ostpreußen. Tief sitzt der Groll über die Folgen des ersten Weltkrieges. Deshalb lässt Alfred von Bergen, ein Gutsbesitzer, seinen Sohn Johann schon in jungen Jahren wissen:

 

„...Irgendwann wird der Tag kommen, an dem die Uhren wieder für uns schlagen […] Und dann holen wir uns wieder, was unser ist...“

 

Er kann nicht im mindesten ahnen, das sie alles verlieren werden. Allerdings gehört er zu den wenigen Gutsbesitzern, die die Nazis mit kritischen Augen sehen. Zum Verhalten des Regimes gegenüber den Juden äußert er sich folgendermaßen:

 

„...Wir zählen nicht zur breiten Masse und sollten kritisch sein. Es geht hier immer noch um Menschen...“

 

Johann und Karl, sein bester Freund, erleben den Krieg an der Ostfront. Die wenigen Schilderungen bewegen emotional. Sie zeigen aber auch, wie gut die Propaganda funktioniert hat und wie gefühllos man Kriegsverbrechen gegenüber war. Erna dagegen, die als Krankenschwester an der Front arbeitet, getraut sich den Mund aufzumachen ohne Rücksicht auf persönliche Gefahren.

Die Krankheit von Kalle, Ingas Opa, schreitet schneller voran als gedacht. Er kann sich nur noch bruchstückhaft äußern. So erfährt Inga, dass er nicht aus Berlin stammt, wie es bisher die Familie glaubte, sondern dass seine Wurzeln in Ostpreußen liegen. Sie fährt nach Kaliningrad.

Für den abwechslungsreichen Schriftstil der Autorin zeugt die Beschreibung der kurischen Nehrung:

 

„...Die Gegend verzauberte mit einer großen Sanftheit und war zugleich schroff und ungeschliffen...“

 

Während der Stil in Zeiten des Krieges hart und realitätsnah ist, wird die Reise durch Kaliningrad und die Umgebung mit passenden Metaphern und Adjektiven beschrieben. Selbst kurze romantische Szenen fehlen nicht.

Das Buch birgt eine Menge an Überraschungen. Inga und ihre Familie sehen das Leben des Großvaters plötzlich aus völlig neuer Sicht.

Das Buch hat mir ausgezeichnet gefallen. Es zeichnet ein Stück Familiengeschichte in den Zeiten von Krieg und den ersten Nachkriegsjahren nach.