Rezension

Die Tragik des Geizes

Das Fräulein -

Das Fräulein
von Ivo Andric

Bewertet mit 4 Sternen

Ivo Andric gewann, als einziger Jugoslawe, 1961 den Literaturnobelpreis. Er wurde noch unter österreichisch-ungarischer Verwaltung in Dolac bei Travnik, Bosnien 1892 geboren, erlebte die Umstürze und Brüche seines Landes hautnah mit und setzte sich später als Diplomat und Politiker zunächst für das Königreich, dann für den Staat Jugoslawien ein.
"Das Fräulein" bildet mit den anderen beiden großen Werken Andrics (Wesire und Konsuln, Die Brücke über die Drina) die bosnische Trilogie und kann in der zeitlichen Abfolge als Geschichtsliteratur der Balkanländer angesehen werden.

Das Fräulein wird uns gleich zum Anfang tot in ihrem Haus in Belgrad vorgestellt. Es ist dem Briefträger zu verdanken, dass sie Tage später gefunden wird. Die Zeitungen wissen nur zu berichten, dass Rajka Radakovic aus Sarajewo stammte, seit 15 Jahren das zurückgezogene Leben einer einsamen Jungfrau führte, als Geizkragen und Sonderling galt und wohl an Herzversagen verstarb.

Neugierig, wie es dazu kommen konnte, setzt die Geschichte bei der 15jährigen Rajka ein, die ihrem Vater am Sterbebett in Sarajewo versprechen musste, das verbliebene Geld in der Familie zusammenzuhalten, niemals unnütze Ausgaben zu machen, keinem zu vertrauen und alles dafür zu tun, dass sich das Geld wieder vermehre. Das nimmt das Mädchen allzu wörtlich und verschließt sich fortan jeglichem Luxus, Lebensfreude und sogar Barmherzigkeit. Vorsichtig holt sie sich Finanztipps von ihrem geliebten Onkel und Vormund und anderen Geschäftsmännern, bleibt aber zögerlich in ihren Ausgaben. Hinter jedem Fest und jeder Prasserei vermutet sie den Teufel höchstpersönlich, über ihre Entscheidungen legt sie alle Sonntage Rechenschaft am Grab ihres Vaters ab.

Die Zeiten sind unruhig, 1914 fällte der österreich-ungarische Thronfolger Franz Ferdinand just in dieser Stadt einem Attentat zum Opfer, der 1.Weltkrieg bricht aus. Krieg aber bedeutet auch, dass Geld gebraucht wird und das Fräulein verleiht ihr Geld. Zu Wucherzinsen. Die erste Million scheint in greifbare Nähe zu rücken, doch als der Krieg zuende ist, werden Schuldige gesucht. Als Kriegsgewinnlerin hat Rajka jetzt Angst bekommen und flieht mit ihrer Mutter nach Belgrad.

Zunächst finden sie bei der Verwandtschaft Unterschlupf, doch deren gesellschaftliches Leben ruft nur Verachtung bei Rajka hervor. Nur eine Frau kann sich ihr Vertrauen erschleichen und diese stellt ihr auch den jungen Mann vor, der auf dem Weg zu einer verdienstvollen Stellung in der Wirtschaft ist, dem nur eine kleine Starthilfe fehlt und dessen Lächeln Rajka sosehr an ihren Onkel in Sarajewo erinnert. Der einzige Ausrutscher und finanzielle Fehltritt nimmt ihren Lauf und lässt Rajkas Herz in verhärteten Bruchstücken zurück.

Interessanterweise überlässt Andric in seinem Roman die Rolle des großen Geizhalses, anders als andere große Schriftsteller, einer Frau und bettet ihre Geschichte zeitlich und örtlich in seine eigenen Lebensdaten ein. Dabei erfasst er die Aufbruchstimmung seines Landes genau, ergreift aber (vermutlich berufsbedingt) keine Partei. Die Vergangenheit wird so natürlich lebendig und der Fokus eines deutschen Lesepublikums in eine (fast) vergessene Ecke Europas gelenkt. Das ist verdienstvoll und interessant.

Leider bleibt das Fräulein selbst, mit ihrem altbackenen, damals wohl üblichen Titel, seltsam starr und entwicklungsresistent. Vielleicht dürfen wir das der männlichen Sicht auf eine Frau verdanken, die sich ihre Charakterzüge allein aus Berichten und Erzählungen von Männern untereinander aneigenen muss. Man (frau) muss beim Lesen daran denken, dass es andere Zeiten waren, oder sich in Erinnerung rufen, dass aus solch nobelpreisgekürter Lektüre eben auch Wahrnehmungen für Jahrzehnte entstanden.

Das Buch erschien erstmals auf Deutsch 1958 und wurde jetzt, von Edmund Schneeweis übersetzt und von Katharina Wolf-Grießhaber überarbeitet, im Zsolnay Verlag veröffentlicht. Leider zeigt uns das Titelbild eine, so ganz und gar nicht zur Protagonistin passen wollende, lächelnde junge Frau mit lackierten Nägeln... lasst euch nicht davon täuschen.

Das tragische Ende, das ein durchaus slapstickhaften Abgang bietet, eine angenehme, flüssige Sprache und detaillierte Ortsbeschreibungen machen dieses Werk trotzdem lesenswert.

Kommentare

wandagreen kommentierte am 20. April 2023 um 15:47

Hm, sorry, aber um den Bogen, den ich hier drum geschlagen habe, bin ich nicht traurig. Ich mags, wie du Rezis schreibst (meistens): ich weiss dann, woran ich bin!

Emswashed kommentierte am 20. April 2023 um 18:05

Dein Bogen war nicht verkehrt, meine Kritik angsichts des Nobelpreises sehr zurückhaltend.