Rezension

"Die Welt ist aus den Fugen"

Kachelbads Erbe - Hendrik Otremba

Kachelbads Erbe
von Hendrik Otremba

Bewertet mit 4 Sternen

Ich mag etwas schräge, geheimnisvolle und philosophische Geschichten und hier kam ich ganz auf meine Kosten.

Los Angeles, Anfang der 80er Jahre. Kachelbad, ein weit im Alter fortgeschrittener deutscher Einwanderer ist in einer Firma tätig, die Leute einfriert. Eine seiner Aufgaben ist es, das Leben derjenigen aufzuschreiben, die bald als "kalte Mieter" im "postmortalen Kälteschlaf" in einem der Stickstofftanks kopfüber aufbewahrt werden, in der Hoffnung, dass irgendwann die Wissenschaft einen Weg findet, sie wieder aufzuwecken. Es sind ganz unterschiedliche Menschen aus allen Teilen der Welt: Schriftsteller, Wissenschaftler, Verrückte, Heroinabhängige und Auftragskiller.

Als nun der Geschäftsführer der Firma überraschend verstirbt, muss Kachelbad die Alleinverantwortung übernehmen, Gelder für die Firma auftreiben und sogar die Folgen eines Erdbebens abfedern.

Der Roman beleuchtet verschiedene Zeitebenen und ist aus den verschiedensten Perspektiven erzählt, wobei sich je nach Protagonist der Schreibstil etwas ändert. Die meisten Figuren gelangen sehr eindrücklich, nur einige wenige überzeugten mich nicht so sehr. Kachelbad, Dreh- und Angelpunkt der ganzen Geschichte, wurde eigen und rätselhaft, aber sehr sympathisch, verantwortungsbewußt und einfühlsam den Menschen gegenüber gezeichnet.

Der Schreibstil ist sehr bildhaft, manchmal etwas zu geschwätzig. Die Geschichte fesselte mich dennoch sehr. Die Dramatik nahm stetig zu und immer wieder, besonders zum Ende hin, gab es sehr berührende Momente (Kachelbads Liebesgeschichte zu einem jungen Mann ist sehr schön erzählt). Gleichzeitig liest es sich schelmisch, humorvoll und satirisch. Mystische Elemente nehmen ebenfalls Raum ein. Trauminhalte, Gedanken und Wirklichkeit verschwimmen manchmal ineinander. Es wird auch nicht alles erklärt, einiges bleibt für den Leser geheimnisvoll und im Dunkeln.

Die Kryonik wird interessant und realistisch dargestellt und durchaus kritisch beleuchtet.

Die Geschichte ist eingebettet in einige Katastrophen der 80er Jahre, wie Tschernobyl, die Entdeckung des Aidsvirus und schwere Erdbeben. Jeder der Protagonisten hofft hier auf ein bessere Zukunft, aber es wird konstatiert, die Menschheit befinde sich "inmitten einer irreversiblen Katastrophe". Ethische Fragen werden diesbezüglich aufgeworfen, wie nutzt man Macht, wie nutzt man seine Gaben? Und natürlich auch Fragen nach dem Tod, dem Sterben und angesichts dessen auch die Frage nach der Wichtigkeit im Leben und was Bestand hat nach dem Tod. Einige der Protagonisten schreiben, so wird immer wieder über Sprache und das Schriftstellerdasein reflektiert.

Der Roman ist voller spannender Themen, hier wäre jedoch vielleicht weniger etwas mehr gewesen.

Fazit: Ein origineller, schräger, philosophischer und gesellschaftskritischer Roman, mit einer eher pessimistischen, düsteren Prognose für die Menschheit.

Kommentare

Buchdoktor kommentierte am 07. September 2019 um 16:12

Danke für den Tipp. :-)