Rezension

Diskriminierung der Samen an den Nomadenschulen

Die Zeit im Sommerlicht -

Die Zeit im Sommerlicht
von Ann-Helén Laestadius

Bewertet mit 5 Sternen

Vor einiger Zeit habe ich eine Reportage über das Volk der Samen gesehen, und so hat mich die Beschreibung des Romans "Die Zeit im Sommerlicht" sofort interessiert. Sehr gefühlvoll erzählt Ann-Helen Laestadius, selbst Samin,  anhand der Protagonist*innen Else-Maj, Marge, Jon-Ante, Nilsa und Ann-Risten von den Nomadenschulen und den lebenslangen psychischen und auch körperlichen Folgen, an denen die ehemaligen Schüler und Schülerinnen dieser Einrichtungen litten. Bis in die 1960er Jahre hinein mussten Kinder samischer Rentierzüchter gesonderte Nomadenschulen besuchen, auf denen sie nur nach vereinfachtem Lehrplan unterrichtet wurden und wo Ihnen die samische Sprache und Kultur verboten war. Die Personen des Romans sind fiktiv, doch die Autorin schreibt in ihrem Nachwort, dass ihre Mutter noch eine solche Schule besuchen musste und die erzählte Geschichten auf realen Begebenheiten beruhen. Demnach waren die Kinder auf den Internaten der Nomadenschulen systematischer  Diskriminierung, Rassismus, Willkür und körperlicher Gewalt ausgesetzt.

Der Roman springt immer wieder zwischen zwei Zeitebenen hin und her: In den frühen 50er Jahren begleitet er die noch jungen  Protagonist*innen auf die Nomadenschule, und 1985/1986 zeigt er das Leben der inzwischen ca. 40jährigen Erwachsenen und ihrer Familien. Die Erfahrungen der Schulzeit haben bei allen tiefe Spuren hinterlassen, wirken bis in die nächste Generation hinein, und jede*r versucht auf seine eigene Weise damit umzugehen. In jedem der 54 Kapitel steht eine/einer der fünf Protagonist*innen im Mittelpunkt, und wir erleben die Geschehnisse aus seiner bzw. ihrer Sicht. Besonders ans Herz gewachsen sind mir hier Marge und Jon-Ante. Mit viel Liebe beschreibt die Autorin den Familienzusammenhalt der Samen und die tiefe Zuneigung zwischen Eltern, Großeltern und Geschwistern, die ohne große Worte auskommt. Ebenso deutlich wird, welch hohen Stellenwert die Rentiere nicht nur wirtschaftlich, sondern auch emotional und kulturell für die Samen haben. Die Bedrohung des Lebensraums der Rentiere durch Bergbau, Forstwirtschaft, Tourismus und Umweltverschmutzung ist daher für die Samen von existenzieller Bedeutung und klingt auch im Roman immer wieder an. So führt Jon-Antes Tätigkeit als Bergmann zu  innerfamiliären Diskussionen, und auch die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl wird thematisiert.

Der Schreibstil des Romans hat mir sehr gut gefallen. Er ist voller Wärme und Zuneigung für die Figuren und das Volk der Samen, und dabei gleichzeitig klar und direkt. Deutlich spürbar ist die Kritik an den Verantwortlichen der Nomadenschulen und der schwedischen Kirche, die Trägerin der Schulen war. Das Schicksal der Kinder hat mich sehr bewegt, und die Misshandlungen der Kinder erinnern an ähnliche Berichte aus Kinderheimen und Internaten auch in Deutschland. Es macht mich immer wieder sprachlos, mit welcher Gefühlskälte sogenanntes pädagogisches Personal den  Kindern begegnet ist.

Ein sehr lesenswertes Buch, das die Minderheit der Samen und ihre systematische Unterdrückung in den skandinavischen Ländern bis in die Mitte des letzten Jahrhunderts in den Mittelpunkt rückt.