Rezension

Drei Schwestern, drei Lebensläufe

Wir sind doch Schwestern - Anne Gesthuysen

Wir sind doch Schwestern
von Anne Gesthuysen

Bewertet mit 5 Sternen

Das Gerüst der Erzählung bilden die Vorbereitungen der 84jährigen Katty Franken für den 100. Geburtstag ihrer Schwester Gertrud im Jahr 1994 auf dem Gut Tellemann in Wardt bei Xanten am Niederrhein. Auch die dritte Schwester Paula, 98 Jahre alt, ist zugegen.

 

Mit dem Tellemannshof sind für alle drei Erinnerungen verbunden. Daher sind in die Rahmenhandlung Geschichten aus der Vergangenheit eingebettet, die sich durch das ganze 20. Jahrhundert ziehen. Diese Geschichten werden aus den wechselnden Perspektiven der Schwestern erzählt und informieren so den Leser allumfassend. Durch den stetigen Wechsel zwischen Gegenwart und Vergangenheit wirkt die Erzählung recht lebendig.

 

Allen Geschichten ist gemeinsam, dass sie bewegend und komisch geschrieben sind: Bewegend, weil viele ernste Themen angesprochen werden; komisch, weil lustige Anekdoten eingestreut sind.

 

Zu den ernsten Themen gehören Alter und Tod. So wird immer wieder auf die Altersgebrechen (Blindheit und Schwerhörigkeit) der Schwestern eingegangen, aber durchaus humorvoll. Es ist die Rede vom Schwindsuchttod ihrer Mutter, dem Suizid ihres bei homosexuellen Handlungen ertappten Cousins, den tragischen Unfalltoden ihrer kleinen Neffen, woran deren Vater zerbrach, dem Fallen von Heinrichs einzigem Sohn Theodor in den letzten Kriegstagen 1945.

 

Von den lustigen Anekdoten ist mir z.B. in Erinnerung geblieben, wie  sich Kattys auf Tellemannshof unerwünschter Verehrer vor Heinrich in einem Schrank versteckt und er seine Flucht über den Hinterausgang antreten soll. Dabei wird er gewarnt " … pass auf, hinten auf der Weide läuft der Stier frei rum. Mit deinem hochroten Kopf wird er dich schon von Weitem sehen" (S. 198).

 

Der Roman bietet dem Leser viel historisches und politisches Wissen über das Deutschland des 20. Jahrhunderts. Anhand des männlichen Protagonisten Heinrich wird ein gutes Bild der Parteienlandschaft in Deutschland, insbesondere der CDU, vermittelt. Das Thema Antisemitismus wird anhand Gertruds zweitem, jüdischem Verehrer Karl aufgegriffen. Interessant ist auch das anhand von Paulas geschiedenem, homosexuellem  Ehemann Alfred in den Fokus gerückte Thema Homosexualität, die ja bis 1994 strafbar war.

 

Für weibliche Leser soll betont werden, dass es sich auch um einen Liebesroman handelt. Wie ein roter Faden zieht sich durch das Buch Gertruds Liebe zu Franz.  Sie wird von seinem Bruder Heinrich als nicht standesgemäß abgelehnt und findet durch Franz' tragischen Tod im 1. Weltkrieg ein Ende. Dafür gibt Gertrud unerbittlich Heinrich bis zu dessen Lebensende die Schuld - was auch ihr Verhältnis zu Katty zeitlebens trübt. Rührend geschildert ist auch die ebenfalls nicht standesgemäße Liebe zwischen Katty und Heinrich, letztlich ebenfalls unerfüllt.

 

Die weiblichen Protagonisten sind allesamt starke Frauen mit eigener Persönlichkeit. Die Ursache dürfte in der zur damaligen Zeit ungewöhnlichen liberalen Erziehung durch den Vater zu finden sein. Eine ebenso starke Persönlichkeit ist der männliche Gegenspieler Heinrich Hegmann, Politiker und Machtmensch durch und durch, dessen zutreffend wiedergegebene Vita sich bei Wikipedia nachlesen lässt.

 

Über allem steht die unerschütterliche Zusammengehörigkeit von Katty, Paula und Gertrud. Zwar haben alle zu ihrem Lebensende hin das Bedürfnis , noch einmal reinen Tisch zu machen. Sie erkennen aber, dass sie doch Schwestern sind. Deshalb ist auch der Buchtitel treffend gewählt. Er findet sich auch in zwei Textstellen wieder (S. 111, 352).

 

Kurzum, eine lebendige Erzählung, die uneingeschränkt für Leser aller Art zu empfehlen ist.