Rezension

Ein außergewöhnlicher Roman, der etwas zu viel wollte

R.E.M.
von Michael Marshall Smith

Bewertet mit 3 Sternen

Hap Thompsen schlägt sich mehr schlecht als recht durchs Leben, dabei war er früher einmal ein ganz unbescholtener, zufriedener Bürger – doch das war bevor er und seine Exfrau Helena durch unglückliche Umstände auf die schiefe Bahn und später dann auch noch wegen eines fehlgeschlagenen Bankraubs ins Visier der Polizei gerieten. Dank seines Cybernetkumpels Quat entgeht Hap aber der Strafverfolgung, denn der sorgt wieder für eine wie von Zauberhand blütenweiße Akte. Um sich seine Burger aber weiterhin leisten zu können reicht der mickrige Lohn als Kellner leider nicht wirklich. Also lässt sich Hap auf ein sehr lukratives aber auch illegales Jobangebot als »Traumverwahrer« ein.

»Vor einigen Jahren hatte man eine Methode entwickelt, um die Träume der Menschen in Echtzeit aus ihrem Kopf herauszulösen. Ein Gerät, das neben dem Kopf von (betuchten) Kunden aufgestellt wurde, war in der Lage, bestimmte elektromagnetische Felder zu erkennen und die dazugehörigen Geisteszustände aus dem Unterbewußtsein des Träumenden in ein Löschgerät abzuleiten.«

Hap macht diesen Job gut – so gut, dass er beschließt, es könne nicht schaden, einem noch illegalerem Angebot zuzustimmen und so noch mehr Geld zu verdienen. Also wird er zusätzlich noch »Erinnerungsverwahrer«. Gemeint sind damit eigentlich völlig harmlose Erinnerungen, wie die, dass man verheiratet ist zum Beispiel. Der Auftraggeber läd sie kurzfristig bei ihm ab und nimmt sie dann nach einem vereinbarten Zeitraum wieder zurück. Soweit die Theorie, die Praxis sieht für Hap dann aber schnell nicht mehr ganz so rosig aus. Seine Kundin Laura läd nämlich die nicht ganz so harmlose Erinnerung eines Mordes bei ihm ab und verschwindet, ohne sie wieder zurückzunehmen. Wird Hap jetzt erwischt, wandert er hinter Gitter und zwar nicht nur, weil die Aktion per se verboten ist, sondern auch weil er zur Hälfte das Strafmaß eines Mordes, den er gar nicht begangen hat, tragen muss. Weil Hap das aber alles andere als amüsant findet, setzt er alles daran, Laura zu finden und verstrickt sich dabei kurzerhand in einen ungeheuer komplexen Komplott, bei dem er selbst ins Visier der Drahtzieher gerät und ausgeschaltet werden soll.

Welche Rolle bei diesem spannendem Thriller-Noir bestechliche Türschlösser, ein nerviger aber doch nützlicher Wecker, Faltautos, ein verpfuschtes Mikroklima in L.A., Furzableiter für Prominente, in Rudeln durchs Land streifende Küchengeräte und Männer in grauen Anzügen, die sich merkwürdig gleichen, spielen – das muss man wirklich selbst lesen. Spaß hat man dabei, soviel ist sicher, denn Smith hat einen flüssigen, packenden Erzählstil, der gepaart mit viel Ironie und Humor ein äußerst unterhaltsames Lesevergnügen garantiert.

Seicht ist sein dritter Roman R.E.M. (OT: One Of Us) aus dem Jahr 1998 allerdings nicht, denn der Autor wagt zum Ende hin sogar einen Abstecher in die Metaphysik und Philosphie. Die ohnehin recht komplexe Handlung wird so auf eine weitere Ebene gehoben, die in Ansätzen zwar stark zum Nachdenken anregt, mich aber insgesamt dann leider auf dem letzten Drittel auch verloren hat. Für mich zu viel des Guten und auch zu weit weg von der Kernhandlung, die mich bis dahin wirklich sehr gut unterhalten hatte. Da trösten die toll ausgearbeiteten Charaktere und aller Humor mit einer gehörigen Portion Gesellschaftskritik dann leider auch nicht über das in meinen Augen etwas verwaschene Ende hinweg.

»Wir leben im Zeitalter der Sündenböcke, und Rauchen hat die Poleposition inne. Was kümmert es uns, daß unsere Nahrung ebenso ungesund ist und unsere Autos Zeug in die Atmosphäre schleudern, das sich niemals auflösen wird; wir hängen an unseren Hamburgern, unserem Bier und unseren Autos, also machen wir etwas anderes madig. Laßt uns das Rauchen an öffentlichen Orten und in Flugzeugen und in Kneipen verbieten, dann wird unsere Welt der Himmel auf Erden sein. Laßt uns unseren Problemen die Schuld an unserem Unglück geben, dann brauchen wir uns nicht mehr mit ihnen auseinanderzusetzen. In Horrorfilmen sterben heutzutage nicht mehr die frühreifen Teenager als erste - sondern die Leute mit einer Packung Marlboro in der Tasche.«

Fazit

Wer ein außergewöhnliches Leseerlebnis mit viel Humor, Gesellschaftskritik und außerordentlich guter Unterhaltung sucht, der sollte definitiv mal einen Blick auf die Romane von Michael Marshall Smith werfen. Auch wenn »R.E.M.« mir nicht so gut wie »Geklont« gefallen hat, so bereue ich die Lektüre keinesfalls und werde auch noch weitere Bücher von ihm lesen. Ein gewisses Suchtpotenzial kann man ihm einfach nicht absprechen.