Rezension

Ein beeindruckendes Lebenswerk, eine lesenswerte Autobiografie

Dem Mut ist keine Gefahr gewachsen - Rüdiger Nehberg

Dem Mut ist keine Gefahr gewachsen
von Rüdiger Nehberg

Bewertet mit 5 Sternen

Ein beeindruckendes Lebenswerk, eine lesenswerte Autobiografie

Als ich davon hörte, dass Rüdiger Nehbergs Autobiografie im April erscheinen sollte, freute ich mich. Ich wollte immer mal etwas von ihm lesen. Denn auch wenn ich von ihm nicht viel mehr wusste, als dass er sich einen Namen als Survival-Experte und Menschenrechtler gemacht hatte, war mir doch klar, dass er zu den Menschen gehört, die wirklich etwas zu erzählen haben. So nahm ich voller Vorfreude in meinem Lesesessel platz um zu erfahren, welche Abenteuer Rüdiger Nehberg in seinem Leben bestreiten musste. Kaum angefangen, mochte ich das Buch fast nicht mehr aus der Hand legen, weil er unterhaltsam erzählen kann, und weil er jemand ist, zu dem man bei dem, was er bislang erreicht hat, bewundernd aufblicken kann. Gleichzeitig fühlt man sich ihm jedoch verbunden, weil er bodenständig geblieben ist, auch wenn er immer nach den Sternen gegriffen hat.

Rüdiger Nehberg nimmt den Leser in diesem mit Farb- und Schwarzweißbildern versehenen Buch mit auf einen Streifzug durch sein aufregendes Leben – die Basis für die Erfolge in der Arbeit mit seiner eigenen Menschenrechtsorganisation. Als Siebzehnjähriger radelt er heimlich nach Marokko. 1968 importiert er ‚Survial‘ aus den USA und wird zum Inbegriff des Überlebenskünstlers. 1981 beim Marsch durch Deutschland lebt er 1000 Kilometer lang nur von dem, was die Natur hergibt. Er übersteht 26 Raubüberfälle, überquert dreimal den Atlantik, schafft es allein und halbnackt durch den Dschungel. Er lernt Ekel, Angst und die Bedenken anderer zu überwinden, lässt sich nicht entmutigen.

„Wieder einmal wissen wir es zu schätzen, nicht hier, sondern in einem anderen, begünstigteren Teil der Welt geboren zu sein. Momente, die mir einmal mehr das Glück bewusst machen, ausgerechnet in Nordeuropa zu leben, in all dem Wohlstand, dem gemäßigten Klima, der Demokratie, der Pressefreiheit, den Bildungsmöglichkeiten, des Friedens, des gemeinsamen Europas. Paradiesische Zustände, wie noch keiner unserer Vorfahren sie erleben durfte. Und ich verspüre die Verpflichtung, davon abzugeben an die, die unter solch erbärmlichen Zuständen ihr Dasein fristen müssen. Wie diese Salzarbeiter. Das Reisen und mein Blick auf andere Lebensumstände verändern sich.“ (S. 82)

Als er Zeuge schlimmster Menschenrechtsverletzungen wird, erfindet er aberwitzige Aktionen, um Aufmerksamkeit auf die Not anderer zu lenken.

„Ich will mich einsetzen. Massiv, körperlich, intellektuell. Nicht im Entferntesten kommt mir der Gedanke, dass diese Entscheidung meine weitere Zukunft komplett verändern würde. Ich mache die neue Erfahrung, dass mein Abenteuer auf einmal einen Sinn erfährt, mein Leben eine ganz andere Erfüllung.“ (S. 126)

Etwa die drohende Ausrottung der Yanomami in Brasilien durch die Goldsucher-Mafia, der er mit Zivilcourage den Kampf ansagt. Auch berichtet er von der Zeit in jordanischen Gefängnissen und den Wüstenkarawanen, die ihn mit Muslimen vertraut machten. Es ist ein kleines Erlebnis, das ihn tief berührt und seine Liebe zu Nordafrika, den Menschen, ihrer Kultur und der Exotik des Orients begründet hat. Es war die Urkeimzelle seiner Verbundenheit mit der Wüste und nomadischer Gastfreundschaft und erweist sich als Zündfunke für sein weiteres Leben.

„Aktionen zu starten, die bereits hundertfach von anderen zelebriert wurden, ist öde, zeugt von mangelnder Kreativität und mindert die Bedeutung des Projektes. Nur Einmaliges kann mit medialer Wahrnehmung rechnen, dessen Bekanntheitsgrad mehren und damit auch die Durchsetzungskraft stärken. Meine Aktionen für die Yanomami hatten 20 (!) Jahre gedauert. Erst dann war die pro-indianische Lobby stark genug geworden, um einen akzeptablen Frieden für dieses große Regenwaldvolk durchzusetzen. Erst danach war ich frei für Neues.“ (S. 217)

Frei für die Arbeit mit seiner Organisation TARGET e. V. und dem Islam als Partner, unterstützt durch muslimische Autoritäten in Ländern wie Mauretanien und Äthiopien. Mit dem Ziel, für das er mit nie erlahmender Kreativität kämpft: die Ächtung Weiblicher Genitalverstümmelung von Mekka aus.

„Ich erzähle ihm vom Thema Verstümmelung, dass wir Augenzeugen geworden sind und fragen, ob wir ihm die Bilder zeigen dürfen. Wir dürfen. Er schaut sie sich sehr lange an, bleibt sprachlos und wird blass. ‚Das geschieht mit meinen Mädchen?‘, fragt er schließlich leise.“ (S. 229)

Rüdiger Nehberg warnt vor den schwer zumutbaren Schilderungen dessen, was den Mädchen bei der Beschneidung geschieht, was dies aus ihnen macht und welche Probleme es ihnen in ihrem weiteren Leben bereitet – und es ist unvorstellbar grausam, was man da liest. Aber es verdeutlicht auch, wie wertvoll und wichtig der Kampf dagegen ist. Ein Kampf, den er gemeinsam mit seiner Frau Annette bis zu seinem Lebensende führt.

Rüdiger Nehberg verstarb am 01. April 2020, wenige Tage vor Erscheinen dieses Buches. Es stimmt mich traurig, dass er die Vision, mit der er sein Buch enden lässt, nicht mehr selbst erleben kann. Aber mit seinem „Bis dann, vielleicht demnächst, Rüdi Rastlos“ bringt einen der willensstarke Abenteurer dann doch wieder zum Lächeln. Ein beeindruckendes Lebenswerk, eine lesenswerte Autobiografie.