Rezension

Ein Buch, bei dem eine konkrete Meinung schwerfällt

Warum glücklich statt einfach nur normal? - Jeanette Winterson

Warum glücklich statt einfach nur normal?
von Jeanette Winterson

Autobiografie hin oder her - das Buch konnte mich nicht wirklich überzeugen.

Bevor ich die Rezension schreibe, muss ich erst einmal etwas gestehen: ich hatte sehr hohe Erwartungen an das Buch. Die Hintergrundgeschichte, der Lebenslauf der Autorin, die Tatsache, dass das Buch autobiografisch ist und nicht zuletzt die zahlreichen Rezensionen, die ich gefunden habe, haben mich nur noch mehr dazu verleitet, voreingenommen an die Geschichte heranzugehen.

Dass ich dem Buch nun zwiespältig gegenüberstehe, hinterlässt bei mir nun den schalen Nachgeschmack, dass es vielleicht auch nur an meinen völlig überzogenen Erwartungen gelegen haben mag und dieses Buch es mir gar nicht recht machen konnte.

Allerdings: es wurde ausdrücklich betont, dass man dieses Buch auch lesen könne, ohne den Vorgänger „Orangen sind nicht die einzige Frucht“ gelesen zu haben! Dem kann ich so allerdings nicht zustimmen.

Erstmal etwas zum Hintergrund. Die britische Autorin Jeanette Winterson wächst bei Pflegeeltern auf. Ihre Adoptivmutter, eine fromme Pfingstlerin, deren Alltag aus Beten und Heilig sein besteht, bietet ihr nicht gerade das, was man eine schöne Kindheit nennen kann, im Gegenteil. Sie redet dem kleinen Mädchen immer wieder ein, nicht heilig und nicht gut genug zu sein.

Als Jugendliche verliebt sich Jeanette in eine Frau – ein Skandal in der Familie, der allerdings öffentlich kaum ausgelebt wird, sondern sich mehr in perfidem Psychoterror widerspiegelt.

Eigentlich ist das eine wahnsinnige Geschichte für einen Roman und eine erschreckende Geschichte, weil sie wahr ist. Und der Roman ist tatsächlich eine sehr feine und reflektierte Studie der eigenen Kindheit, ohne das kleinste bisschen Bitterkeit, aber mit sehr viel Akzeptanz der Andersheit der Adoptivmutter erzählt.

Ein Selbstmordversuch, ihre Unfähigkeit, Liebe zuzulassen und ihre Rettung im Lesen und Schreiben, das alles erzählt Jeanette Winterson mit so viel Abstand und emotionaler Ruhe, dass man entweder unheimlichen Respekt oder unheimliche Angst vor der Kraft dieser Frau bekommen kann.

So weit, so gut. Leider hat dieses Buch eine wahnsinnig störende Komponente, die für mich die Geschichte immer wieder so weit durchbrochen hat, dass ein Lesefluss kaum zustande gekommen ist. Denn die Autorin nimmt immer wieder Bezug auf ihren ersten Roman, in dem sie ebenfalls über ihre Kindheit geschrieben hat.

Dadurch hat man das Gefühl, hier nur die schlechtere Zusammenfassung dieses eigentlichen (großartigen) Romans zu lesen.

Schön ist, dass sie die Reaktionen ihrer Adoptivmutter und ihrer leiblichen Mutter auf den Roman „Orangen sind nicht die einzige Frucht“ beschreibt und somit ihre erste Autobiografie in die spätere Autobiografie mit einbindet – soweit scheint mir dieses „romanübergreifende Schreiben“ auch legitim, aber ich möchte in einer fesselnden und schockierenden Geschichte, die ich gerade lese, nicht auf einmal auf ein anderes Buch verwiesen werden, in dem sie diesen oder jenen Umstand näher beschreibt.

Teilweise kam es mir deswegen wirklich so vor, als wolle sie den Leser von „Warum glücklich statt einfach nur normal?“ nur davon überzeugen, dass sie in
„Orangen sind nicht die einzige Frucht“ ihre wahre Autobiografie geschrieben habe und ihn unbedingt dazu treiben wollte, den anderen Roman ebenfalls zu lesen.

Natürlich sind das Buch und die Geschichte der Autorin damit nicht weniger bewegen und wie gesagt – vielleicht bin ich selber Schuld, dass ich den anderen Roman (noch) nicht gelesen habe. Aber das kam mir doch eher vor wie eine Vermarktungsstrategie, nicht wie ein eigenständiger Roman.

Und was soll ich sagen – es hat auch bei mir gewirkt. Das, was sie in dem Roman über sich selbst erzählt, ist geradezu unglaublich, auch wenn ich den Aufbau des Buches kritisiere und ihn als problematisch empfinde. Trotzdem: diese Frau hat etwas zu erzähle und somit steht „Orangen sind nicht die einzige Frucht“ bereits sehr weit oben auf meiner Wunschliste. – Irgendwie widersprüchlich, ich weiß.