Rezension

Das falsche Bettchen

Warum glücklich statt einfach nur normal? - Jeanette Winterson

Warum glücklich statt einfach nur normal?
von Jeanette Winterson

Bewertet mit 3.5 Sternen

"Wenn meine Mutter böse auf mich war, was häufig vorkam, sagte sie: "Der Teufel hat uns ans falsche Bettchen geführt."

So beginnt Jeannette Wintersons autobiographischer Text "Warum glücklich statt einfach nur normal?".

Dass solche, manchmal vielleicht sogar unbedacht ausgesprochenen Sätze ein Kind enorm verletzen, wiederholt ausgesprochen eine gesunde Eltern-Kind-Beziehung nahezu unmöglich machen, müsste jedem Menschen klar sein. Aber :

"Kinderpsychologie war noch nicht bis Accrington vorgedrungen,..."

Es sind die Sechziger Jahre in einem relativ mittellosen Arbeiterhaushalt nahe Manchester. Die Ehe der Eltern ist unglücklich. Vor allem die Mutter flüchtet sich in die Religion, wird Mitglied einer Pffingstlergemeinde, wendet sich ab von jeder Art der Lebensfreude, bereitet sich auf den Tag des Jüngsten Gerichts vor, die ewige Verdammnis ist ihr stets präsent.

„Mrs. Wintersons Gott war der Gott des Alten Testaments“

Der Vater resigniert, ist völlig willensschwach.

Dass dies denkbar ungünstige Vorraussetzungen für eine glückliche Kindheit sind, liegt auf der Hand. Nun kommt erschwerend dazu, dass Jeanette kein leibliches, sondern ein adoptiertes Kind ist.

"Adoptierte Kinder sind Vertriebene. Für meine Mutter war das ganze Leben eine einzige große Vertreibung. Beide wollten wir nach Hause."

Ein Leben lang kämpft Jeanette um die Anerkennung und Liebe ihrer Adoptivmutter, die diese umso weniger geben kann, als sich das Kind als so anders als gewünscht entwickelt, eigensinnig ist, aufsässig, freiheitliebend und schließlich, dies führt zum Auszug der Sechzehnjährigen, sich als lesbisch outet.

Ein Rettungsanker ist für Jeanette Winterson die Literatur. Obwohl zuhause nur die Bibel erlaubt war, verschlingt sie die „Englische Literatur von A-Z“ der Stadtbibliothek, fängt auch selber zu schreiben an.

"Ich brauchte Wörter, denn unglückliche Familien sind Verschwörungen des Schweigens."

„Prosa und Gedichte sind wie Medikament. Sie heilen den Riss, den die Wirklichkeit in die Vorstellungskraft schneidet.“

Jeanette Winterson wird mit ihrem ersten Buch gleich sehr erfolgreich und überspringt in der Folge im Text 25 Jahre ihres Lebens, um bei einer Lebenskrise anzukommen. Ihre Lebenspartnerin hat sie verlassen, die Adoptiveltern sind verstorben und in ihrem Nachlass die Adoptionspapiere aufgetaucht. Die Autorin macht sich nun auf die schwierige Suche nach ihrer leiblichen Mutter.

Ungeheuer schonungslos geht Jeanette Winterson in ihren Kindheitserinnerungen mit sich und ihren Eltern um.Dennoch ist eine gewisse Versöhnlichkeit und ein Verstehenwollen zu spüren.

„Sie liebte mich an den Tagen, an denen sie lieben konnte. Ich glaube wirklich, mehr ging bei ihr nicht.“

„Sie war ein Monster, aber sie war meine Monster.“

Immer wieder kommt sie darauf zurück, wie wichtig ihr ein Zuhause, das Glück, die Lebensfreude sind und wie schwer ihr mitunter zwischenmenschliche Beziehungen fallen.

Wie die meisten radikalen Selbstentblößungen ist der Text nicht frei von einer gewissen Geschwätzigkeit, Eitelkeit und auch Selbstgerechtigkeit. Die permanenten Selbstanalysen und -erklärungen ermüden zuweilen. Ein gewisser Humor lässt wiederum auch deprimierendste Kapitel ertragen. Aber auch der fragmentarische Stil macht das ganze nicht zu einem Lesevergnügen. Das hat die Autorin wohl selbst bemerkt:

„Es gab keine direkte Verbindung. Das sehen Sie an dem, was Sie hier lesen. Ich möchte zeigen, wie es ist, wenn der Kopf mit seiner eigenen Kaputtheit arbeitet.“

Trotzdem ist das Buch eine lesenswerte und auch beeindruckende Schilderung einer schwierigen Kindheit und einer gleich dreifachen Emanzipation: vom ungeliebten Kind zur selbstbewussten Frau, zur lesbischen Liebe und zur erfolgreichen, unabhängigen Schriftstellerin.