Rezension

Ein Erzählstil, den ich bisher so noch nicht kennengelernt hab

Das karmesinrote Blütenblatt
von Michel Faber

Bewertet mit 5 Sternen

Sugar ist eine ganz besondere Prostituierte im viktorianischen London: Sie ist tabulos. Damit weckt sie das Interesse eines wohlhabenden Kunden, der sie bald zu seiner Mätresse macht.

Es ist 1874, wir begeben uns auf eine Reise durch die Prostituiertenvirtel der Stadt London. An jeder Ecke wartet eine Frau, um sich liegend ein paar Schilling zu verdienen. Sugar ist eine dieser Frauen, sie allerdings macht ohne Ausnahme alles, was andere Prostituierte ihren Kunden verwehren. Dieser Ruf bringt eines Abends den Müßiggänger William Rackham zu ihr. Sie ist so ganz anders als alles, was er bisher kennengelernt hat: Sie ist belesen, drückt sich gewählt aus und weiß in jeder Situation die richtigen Worte für ihn zu finden. Bald schon stehen Sugar und William in einem innigen Verhältnis zueinander und wird zu seiner Beraterin auch in Geschäftsfragen. William wird bald ihr einziger Kunde, der sie mehrmals pro Woche besucht und sie sogar in einem eigens für sie eingerichteten Haus unterbringt. Sugar hat bald mehr Geld als sie ausgeben kann und so viel Freizeit, dass sie es sich leisten kann, müßig zu sein. Doch Sugar schafft es, noch weiter aufzusteigen, um sich mehr und mehr zu fragen, ob ein Leben, wie sie es früher beneidet hat und das sie nun haben kann, auch wirklich das ist, was sie will.

Die angepriesene prickelnde Erotik, die auf dem Buchdeckel so gelobt wird, vermisst man meistens. Es wird zwar teils derbe Sprache verwendet, und die Szene wechselt nicht sofort, sobald die Hüllen fallen gelassen werden. Es wird beschrieben wie Finger in Körperöffnungen verschwinden, Säfte tropfen und wie "wertvolle Baumwolle" im Kamin verschwendet wird, nachdem man sich an sich selbst versündigt hat. Allerdings wird im Buch nicht am laufenden Band zügelloses Gerammel beschrieben. Die Inhaltsangabe insofern kann schon falsche Vorstellungen vom Inhalt aufbauen.
Der Stil von Michel Faber gefällt mir persönlich wirklich gut. Der Anfang beginnt damit, dass der Leser direkt angesprochen wird und die meiste Zeit der Geschichte hindurch quasi als unsichtbarer Zeuge die Handlung mitverfolgt. Als dieser begleitet man zunächst die Prostituierte Caroline, eine Frau im untersten Hurenvirtel Londons, um über sie zur Prostituierten Sugar bis zu deren späterem Freier und Geliebten William Rackham zu gelangen. Als stiller Begleiter der Handlung steigt man als Leser in der Gesellschaft mit Sugars und Williams sich festigender Bindung auf und erlebt gleichermaßen den Aufstieg von William vom glücklosen Möchtegern-Schriftsteller zum Erben der Rackham Parfümindustrie und wird wiederum gesellschaftlich angesehener. So gelangt man in immer höhere und weitere Kreise und bekommt zudem Einblicke in das Leben von Williams seltsamer Frau Agnes, die traurige Geschichte um deren Tochter Sophie, dem älteren Bruder von William, und dessen Angebeteter Emmeline Fox, usw. usw.
So viele Seiten das Buch auch hat, gibt es - finde ich - keine Langeweile im Buch. Selbst die Zeitspanne, in der Sugar mit ihrer neuen Freiheit anfänglich nichts mit der vielen Zeit anzufangen weiß, langweilen mich als Leser nicht.
Man sollte für dieses Buch einiges an Zeit erübrigen.