Rezension

Ein Experiment mit Folgen

Die fabelhaften Schwestern der Familie Cooke
von Karen Joy Fowler

Bewertet mit 5 Sternen

Karen Joy Fowlers  “Die fabelhaften Schwestern der Familie Cooke“  reiht sich in die große Zahl von Familienromanen ein, die in der amerikanischen Gegenwartsliteratur ein eigenes Genre darstellen und ist doch anders als alle anderen. Zwar geht es wieder um das Nicht-Funktionieren und Zerbrechen einer Familie, aber die Gründe dafür sind ungewöhnlich.

Rosemary Cooke schreibt im Jahr 2012 als 38jährige die Geschichte ihrer Familie auf und beginnt in der Mitte. Sie konzentriert sich auf die Jahre 1979, 1996 und in geringerem Umfang 2001 und 2012. In den ersten fünf Jahren ihres Lebens hat sie eine Schwester  namens Fern. Dann hat sie plötzlich keine mehr. Dadurch teilt sich ihr Leben in die Jahre vor und nach der abrupten Trennung von Fern. Die beiden waren wie Zwillinge, so dass es ihr vorkommt, als fehlte ein Stück von ihr. Rosemary war vorher ein ständig plapperndes Kind. Danach zieht sie sich völlig zurück und verstummt. Sie lässt niemanden an sich heran und hat lange Zeit  keine Freunde. Über Fern wird nie mehr gesprochen. Als 22jährige fühlt sich Rosemary zu der wilden, unkonventionellen Studentin Harlow hingezogen, die sie wohl unbewusst an die ungestüme, unberechenbare Fern erinnert.

Rosemary ist nicht die einzige, die leidet. Ihr Vater wird Alkoholiker, die Mutter hat einen Zusammenbruch und über viele Jahre Depressionen, und der ältere Bruder Lowell verlässt nach einigen Jahren die Familie für immer. Die Familie zerbricht aus Kummer über den Verlust von Fern.

Die Autorin wählt eine nicht-chronologische Erzählweise und lässt Rosemary als Ich-Erzählerin berichten, was damals geschah und warum. Der Leser erfährt erst spät, was es mit Fern auf sich hat. Die Erinnerungen sind für Rosemary sehr belastend, und vieles war ihr in der Kindheit nicht bekannt. Die Grundsituation, dass ihr Vater – ein Psychologe an der Universität von Indiana – ein Experiment mit den “Schwestern“ durchführt, wobei  ihre Fähigkeit zur Kommunikation und ihre sonstige Entwicklung ständig getestet und verglichen wurden, war ihr aber schon bewusst. Von daher gab es bei Rosemary durchaus ein Konkurrenzverhalten und Eifersucht auf Fern, die Schimpansin.

Karen Joy Fowler behandelt in ihrem sehr lesenswerten, sprachlich anspruchsvollen Roman eine Vielzahl von Themen, erörtert dabei philosophische und ethische Fragen. Dazu gehören die Eltern-Kind –Beziehung und Rivalität und Loyalität unter Geschwistern. Was macht Menschen menschlich, und wie gehen wir mit den Tieren, unseren Mitgeschöpfen um? Hat der Mensch das Recht, Tiere zu Forschungszwecken grausam zu quälen? Fowler nimmt in Sachen Tierschutz eine klare Position ein, was sie mir sehr sympathisch macht. Fern wird als vollwertiges Mitglied in die Familie Cooke aufgenommen, sie wird geliebt und liebt ihre Menschen und wird trotzdem von einem Tag zum anderen verkauft und zu einem elenden Leben in Gefangenschaft verdammt. Als Rosemary die ganze Geschichte kennt, stellt sie sich ihrer Verantwortung, weil sie begreift, dass wir verantwortlich sind für die, die uns lieben und die wir lieben – Antoine de Saint-Exupéry lässt grüßen!  Erst dann kann sie mit der Vergangenheit abschließen und ein halbwegs normales Leben führen.

Fowlers außergewöhnliches Buch macht nachdenklich, aber es unterhält auch mit Sprachwitz und zahlreichen komischen Episoden, z.B. den Begegnungen mit Harlow und Hausmeister Ezra, den vertauschten Koffern inklusive Handpuppe Madame Defarge. Ich finde den Roman hervorragend und empfehle ihn ohne Einschränkung.