Rezension

Ein gelungener, facettenreicher Frauenroman vor Renaissance Kulisse

Die Venezianerin und der Baumeister - Gudrun Lerchbaum

Die Venezianerin und der Baumeister
von Gudrun Lerchbaum

Ein gelungener, facettenreicher Frauenroman mit guter Tiefe vor Renaissance Kulisse. Eine klare Empfehlung für Fans historischer Romane!

Mariangela ist acht Jahre alt. Sie hat sich im Bett neben ihrer toten Mutter unter einem Haufen Lumpen eingerichtet und will nur eins: sterben. Sie kann sich nichts anderes vorstellen. Aber dann kommen zwei Kinder: Allegra, 11, und ihr kleiner Bruder Fabio, 4, und holen sie ins Leben zurück. Man schreibt das Jahr 1526. Das Mädchen bleibt in der Familie von Allegras Eltern, versucht die Depression nach der Tod der Mutter zu überwinden und lernt Figuren aus Holz zu schnitzen: Allegras Vater hat eine gut gehende Tischlerei. Aber dann kommt ihr kleines Glück ins Wanken.

Die Lebensgeschichte von Andrea Paladio, dem großen Baumeister der Renaissance ist frei erfunden, jedoch sind die geschilderten Lebensumstände aus diversen Quellen der damaligen Zeit in mühsamer Kleinarbeit zusammengetragen und realitätsnah dargelegt worden.

Verschmähte Liebe Magiangelas zu Andrea begleitet die Leser vom Anfang bis zum Ende. Eine typische love story vor historischer Kulisse sucht man hier eher vergeblich. Wie erfrischend. Und es gibt doch eine anrührende Liebesgeschichte, erst im letzten Drittel, mit einigen Hindernissen versehen und einigen gelungenen romantischen Szenen abgerundet. Die Sexthemen insgesamt kommen im Roman auch nicht zu kurz.

Im Wesentlichen ist es eine recht komplexe Geschichte um eine labile junge Frau, die zwischen zwei Egomanen, Andrea und seiner Frau, landet, das Leben einer Magd führt und sich zu finden versucht. Mehrere Frauenschicksale, seien es Mägde, Frauen aus Mittelschicht oder den höheren Kreisen, werden in einprägsamen Bildern vor Augen der Leserschaft ausgebreitet. Das Thema Frauenglück/ Selbstverständnis der Frauen um diese Zeit spielt also eine große Rolle. Es gibt z.B. eine kleine Geschichte um Maria, die als Mädchen für die Schulden der Eltern an einen Kaufmann weggegeben worden war, und lebte später bei einem wohlhabenden Herrn weiterhin in der Annahme, dass sie Sklavin wäre und immer noch die alten Schulden abarbeiten musste, wobei es längst nicht mehr der Fall war.

Es gibt einige rührende Momente, bilderreiche Einblicke in Kernbereiche des Lebens wie der Tod, die Geburt, die Liebe, das Essen, die Feste der damaligen Zeit in der  Mittelschicht und höheren Kreisen, Umgang mit Homosexualität. Auch Glaubensfragen, Fragen der Frauengleichberechtigung, Unsinn des Krieges, Weltanschauung insgesamt, das menschliche kleine Glück, kommen nicht kurz.

Ein paar Lebensweisheiten, wie z. B. Spruch Salomos S. 369 „Wer geduldig ist, der ist weise; wer aber ungeduldig ist, offenbart seine Torheit.“ und einige anderen, die bis heute ihre Richtigkeit erhalten haben dürfen, sind hier und dort gekonnt in den Erzählteppich eingewebt und verleihen dem Ganzen mehr Tiefe.

Der Roman liest sich flüssig und recht angenehm, und offenbart, dass die Autorin gut mit Worten umgehen kann. Der Erzählstil ist unaufgeregt bis distanziert.

Einige Figuren wie Allegra, Fabio, einige Kinder und die Hauptfigur Mariangela sind sehr gut gelungen. Nicht wenige Szenen sind sehr lebendig dargestellt worden, die Figuren zum Greifen nah.  Andrea Palladio spielt eher eine Nebenrolle, was dem Ganzen keinen Abbruch verschafft, wenn man die Geschichte als einen Frauenroman vor Renaissancekulisse begreift.

Zusammenfassend lässt sich sagen: Zu Anfang hat man ein depressives Mädchen getroffen, das sich kein Glück im Leben zugesteht. Es redet sich unsterbliche Liebe zum Baumeister Andrea Palladio ein, macht einige Fehler, kommt fast um, hat aber immer noch recht viel Glück im Unglück, verschenkt aber ihr Leben als Magd an andere. Etwa über zwanzig Jahre dieses Lebens, auch das Leben wie in kleineren Teilen die Arbeit von Andrea Palladio und einigen Zeitgenossen, werden  auf 432 Seiten vor Augen der Leserschaft ausgebreitet. Im Laufe der Geschichte verändert sich Mariangela, lernt aus ihren Fehlern, löst ihre Konflikte auf und bekommt letztendlich, was sie sich wünscht.

Punkte, die zu Sternabzug geführt haben:

Die Handlungen mancher Figuren, die auch für den Verlauf der Geschichte wichtig sind, konnte ich auf Anhieb nicht abnehmen. Einige Wendungen in der Handlung kamen mir etwas konstruiert vor.

Die Hauptfiguren blieben im Großen und Ganzen fern. Obwohl recht viele dramatische Ereignisse geschildert wurden, konnte ich mit keiner der Figuren mitfiebern, keine emotionale Bindung war da. An sich muss es evtl. nicht unbedingt, besonders, wenn dies mit anderen Vorzügen wettgemacht wird, war hier auch her Fall war.

Worttrennungen, die man nicht nur als Übergang von einer Zeile auf die nächste zu oft gesehen hat, sondern auch innerhalb einer Zeile. Die fand ich recht störend. Mein Lesefluss wurde dadurch oft genug unterbrochen. Die Autorin kann nichts dafür, aber das Endergebnis für die Leser bleibt.

Trotz den o.g. Punkten vergebe ich gute vier Sterne. Der Roman ist eine recht komplexe Angelegenheit, hat gute Tiefe, es gibt viele gelungene Momente, bildhafte Darstellungen und damit verbundene Gedankengänge.

Fazit: „Die Venezianerin und der Baumeister“ ist ein gekonnt geschriebener, realistischer, lesenswerter Roman ohne den gewohnten Kitsch um das Thema Liebe. Wer sich das Leben in der früheren Renaissance vor Augen führen lassen möchte, der wird in diesem Roman viele Einblicke gewinnen können. Eine Leseempfehlung, besonders für die Fans historischer Frauenromane.