Rezension

"Ein Held zu sein, bedeutet nicht, Drachen zu töten......“

Im Reich der Verborgenen: Spiegel der Erkenntnis - Melike Yasar

Im Reich der Verborgenen: Spiegel der Erkenntnis
von Melike Yasar

Bewertet mit 5 Sternen

Märchenhafte Geschichte, die emotional bewegt, nachdenklich stimmt und träumen lässt. Wir verlieren uns in der Welt der Dschinn.....

„Die Sonne lehrt alle Lebewesen die Sehnsucht nach dem Licht. Doch es ist die Nacht, die uns alle zu den Sternen erhebt.“ ( Khalil Gibran)

Warum lieben wir Märchen? Märchen bringen unsere tiefen eigenen Gefühle zutage. Wir erwischen uns dabei mit den Figuren ihre Ängste und ihr Leid zu erleben, wir weinen, wir hoffen, wir lieben und träumen mit ihnen, weil wir uns oder unsere Wünsche in diesen Geschichten wiederfinden. Sie nehmen uns mit auf eine Reise, auf der wir emotional gefangen sind, in unseren eigenen heimlichen Träumen und Wunschvorstellungen und darauf hoffen sie könnten wahr werden. Sie sind ein Zaubermittel für unsere Seele, das den Wachstum von Zuversicht fördert, dass es für jede ausweglose Situation eine Lösung gibt und uns ein gutes Schicksal erwartet, wenn wir uns nur trauen unseren Ängsten und Zweifeln mutig entgegenzutreten. Sie malen zauberhafte Bilder in unsere Köpfe und bringen uns in eine wunderbare Welt, aus der wir nur ungern wieder auftauchen.

Mehliqas Fantasy Roman „Im Reich der Verborgenen – Spiegel der Erkenntnis“ ist natürlich kein Märchen im klassischen Sinn, aber es vereint alle wundervollen Attribute, die ich mit einem Märchen verbinde und löste genau die zuvor beschriebenen Emotionen beim Lesen in mir aus.

Wer sich hier angesprochen fühlt, sollte aber bedenken, dass es sich um die Fortsetzung von „Im Reich der Verborgenen – Die Auserwählte“ handelt und als solche nicht eigenständig gelesen werden sollte.

 

Inhalt:

 

Spiegel der Erkenntnis – Er ist nicht nur ein reflektierendes Glas, sondern viel mehr das allsehende Auge, welches den Vier Weisen, die Vergangenheit, Gegenwart und die Zukunft offenbart. Ein Spiegel, der das Geheimnis Shahiqas preisgeben wird, wenn sie in ihn hineinschaut. Einige Hürden müssen dennoch überwunden werden, um an ihn zu gelangen. Wird Shahiqa den ihr auferlegten Prüfungen noch gewachsen sein? Als sie auf Geheiß von Saki Omar in das Kriegslager gerufen wird, trifft sie erneut auf ihren Schwertmeister Shaheen. Dieser stellt schnell fest, dass er eine völlig veränderte Kriegerin vor sich hat. Wird die alte Liebe wieder entflammen? - Krieg, Liebe, Hass und Enttäuschung – Spiegel der Erkenntnis ist der zweite Band der Reihe: – Im Reich der Verborgenen –

 

Meinung:

 

Um ehrlich zu sein, mir fehlen gerade die Worte...und das passiert mir relativ selten! Ein Jahr habe ich warten müssen, seit mich Mehliqa Yigit das erste Mal auf ihre traumhafte Reise zu den Dschinn mitgenommen hat. Ein Jahr lang habe ich mich gefragt, wohin mich diese Reise noch führt. Ich kann gar nicht beschreiben, was dieses Buch mit mir gemacht hat, was ich beim Lesen empfunden habe. Aber als ich es letztendlich schließen musste, kam aus meinem Inneren ein Aufschrei: Nein, ich will noch nicht aufwachen, ich möchte weiter träumen. Ich war noch nicht bereit diese wundervolle Welt wieder zu verlassen. Denn ich habe mich tatsächlich nicht wie der Leser einer fantastischen Geschichte gefühlt, sondern ich war Teil der Geschichte, habe sie selber miterlebt, als wäre sie real. Wie konnte das geschehen?

Mehliqa Yigit hat eine außergewöhnliche Art zu schreiben. Die Worte, die sie auf ihre ganz eigene Weise zu Papier bringt sind gleich einer Melodie, eindrucksvoll und poetisch. Wer ihre Sätze liest, hat das Gefühle einem Lied zu folgen, das einen sanft und wohlklingend durch die Zeilen trägt und sogleich ein Wohlgefühl zaubert.

Die Handlung wird von einem wundervollen märchenhaften Schreibstil getragen, der so wunderschöne Bilder malt, das Landschaften, Naturgewalten und Stimmungen vor dem geistigen Auge zum Leben erwachen. Das alleine schon ist für mich die wahre Kunst des Schreibens, die sich von der heute fast modern gewordenen jugendlichen Sprache abhebt, die sicher ihre Berechtigung hat, aber in dieser Geschichte unpassend, ihr den Zauber nehmen würde.

 

„Erstaunt blickte sie auf die Wunder der Natur. Nein, kein Fluss. Als sie den Wasserfall erblickte, erkannte sie, wie sich der Fluss in dutzenden Kaskaden über den Felsen brach. In ein weiches Kleid aus Moos gehüllt, trotzen die Steinbrocken den dahinrauschenden Fluten. Fast sah es aus, als wären sie eine verwunschene Treppe, einzig dafür geschaffen, sie über das Gewässer zu tragen. Dann sah sie zu ihrer Rechten einen weiteren riesigen Wasserfall. Das fast senkrecht vom Felsen herabstürzende Wasser verband sich unter tausenden, silbrigen Fäden zu einem großen weißen Vorhang....“ S. 251 Kann man die Wunder der Natur noch schöner beschreiben?

 

Auf die gleiche detaillierte und bildgewaltige Weise lässt uns die Autorin in ihre Welt der Dschinn eintauchen, die im vorderen Orient spielt. Ich war nie dort, aber die Landschaften, Städte, Paläste, selbst die Gebräuche oder die Kriegskunst, die uns im Westen so fremd sind, wirkten auf einmal vertraut und erschienen wie ein Film vor meinen Augen, als könnte ich sie sehen. Man merkt der Autorin an, dass sie in dieser Welt zuhause ist und uns ihr enormes Wissen sehr anschaulich näherbringt. Eine Kultur, die uns wenig geläufig ist, verlor das Fremde und wurde greifbar und verständlich. Gerade in der heutigen Zeit sollte sich vielleicht der ein oder andere Leser damit auseinandersetzen und sehen, dass wir in unserem Denken gar nicht so weit voneinander entfernt sind und doch auch viel voneinander lernen können.

 

„Derjenige, der mit Tinte schreibt, ist nicht zu vergleichen mit demjenigen, der mit seinem Herzblut schreibt.“ (Khalil Gibran)

 

Worte, die hier sicher ihre Berechtigung finden. Wir haben sofort das Gefühl, dass Mehliqa all ihre Liebe und Emotionen in ihre Geschichte fließen ließ. Das manifestiert sich sowohl in der Handlung, als auch in ihren Charakteren.

 

Wir haben es hier mit Charakteren zu tun, die sehr liebevoll und facettenreich gestaltet sind. Wurden sie uns zu Beginn der Handlung im ersten Band noch in ihrem Wesen langsam eingeführt und vertraut gemacht, so ließen sie uns doch mit ihren Geheimnissen und vielen Fragen zurück. Hier nun machen sie eine Entwicklung durch, müssen sich teilweise sehr dramatischen und gefährlichen Situationen stellen und entfalten in ihren Erlebnissen immer mehr von ihren individuellen Charakterzügen und Eigenarten. Sie geben uns allesamt einen tiefen Einblick in ihr Denken und Fühlen, lassen uns mit ihnen leiden, weinen, ängstlich, zornig und verzweifelt sein, aber auch Freude empfinden, lachen und vor allem aufrichtig lieben. Stück für Stück offenbaren sie ihre Geschichte, die sie zu dem macht, was sie sind und werden so sehr greifbar. Ich hatte das Empfinden, liebgewonnene Freunde zu begleiten, die ich fast ausnahmslos in mein Herz geschlossen habe und deren Emotionen ich teilte, als wären es meine eigenen. Mehliqa hat Charaktere gezeichnet, die sehr real wirken, weil sie nicht perfekt sind. Sie machen Fehler, haben sehr menschliche Wesenszüge wie Eifersucht, Hass oder auch panische Angst und sind uns gerade deshalb so nah und gleichzeitig haben sie jeder für sich etwas Besonderes und berühren uns.

Wenn ich zwei herausgreife, dann unsere Hauptprotagonistin Shahiqa und den Dschinn Shaheen, die noch einmal besonders hervortreten.

Shahiqa, die zuvor ohne jegliche Erinnerung an ihr Leben in die Welt der Dschinn gelangte, entwickelt sich von einer traurigen, unsicheren Frau zu einer starken Persönlichkeit, die mit ihren Aufgaben und Prüfungen wächst. Obwohl sie großen Gefahren, lebensbedrohlichen Kriegen und Bedrohungen, schockierenden Verlusten und kaum zu ertragendem Leid ausgesetzt ist, stellt sie sich mutig und voller Vertrauen ihrem Schicksal und bewahrt sich ihr außerordentliches Mitgefühl für andere. Gerade ihre Eigenschaft trotz aller Schmerzen und Schrecken, immer die Liebe ihr Tun lenken zu lassen haben sie direkt in mein Herz gelassen. Ich habe selten so sehr mit einer Protagonistin gezittert, gehofft und hemmungslos geweint.

Der facettenreichste Charakter und mein absoluter Liebling aber war Shaheen. Ich habe nicht oft eine Figur gesehen, die so viele Widersprüche in sich stimmig vereint. Der starke, raue Krieger, gnadenlos und durchdacht im Kampf, der aber in seinem Verhalten wenn es um die Liebe geht unsicher, eifersüchtig und manchmal auch ungeschickt wird. Ein Dschinn, der von Emotionen geleitet aufbrausend und hart sein kann, und doch so sanft und zärtlich. Aber was mich am meisten beeindruckt hat, ist seine Fähigkeit, Gefühle absolut ungeschminkt zu zeigen. Ob es Wut, Angst, nackte Verzweiflung, hemmungslose Tränen oder bedingungslose Liebe waren, ich habe sie ihm alle abgekauft und am eigenen Leib gefühlt. Er war die Figur, die die mächtigsten Empfindungen in mir ausgelöst hat und deren Gefühle zu meinen eigenen wurden. Der erfahrene Heerführer, der in Bezug auf zwischenmenschliche Gefühle einen sehr lehrreichen Weg gehen muss, wird immer einen besonderen Platz in meinem Herzen haben.

 

„Out of suffering have emerged the strongest souls; the most massive characters are seared with scars.“ ( Khalil Gibran )

 

Besonders überrascht hat mich die Entwicklung der Handlung als solche. Die Autorin hat die einzelnen Fäden, Fragen und Mysterien des vorhergehenden Bandes absolut stimmig aufgegriffen und nochmal deutlich vertieft. Sie erspart ihren Protagonisten keine Gefahr und kein Leid. Kriege und Schlachten müssen geführt werden, Zweifel und Ängste durchlitten und schwere Verluste hingenommen werden, bevor sich der Sinn all dessen dem Leser entschlüsselt. Wir begleiten sie auf einem sehr steinigen Weg, voller Schmerzen und Entbehrungen, der die Spannung oft auf hohem Niveau hält und mit dramatischen Momenten nicht spart, die uns schockiert und tief erschüttert, den Atem anhalten und manchmal auch die Tränen hemmungslos laufen lassen. Gleichzeitig stellt sie dem Leid unbeschreiblich schöne Momente gegenüber, die uns ein Prickeln auf der Haut verschaffen und manchmal seufzend zurücklassen. Wir erleben hier nochmal eine deutliche Steigerung zum ersten Band.

Zum Ende hin schaffte Mehliqa das Kunststück, noch einmal eine wahre Flut an Emotionen in mir auszulösen. Meine Tränen wollten nicht aufhören zu laufen und innerlich habe ich geschrien: Nein, völlig falsch! Um dann doch noch überrascht zu werden, wie der Kreis zum Beginn der Geschichte sich letztendlich auf wundersame Weise schließt, um mich mit einem wunderbaren, zutiefst berührenden Schluss, träumend und seufzend zurückzulassen. Dieser Roman war stimmig und rund. Vor allem aber enthielt er eine Aussage, die wir uns zu Herzen nehmen sollten. Es erfordert viel Mut und innerer Stärke sich seinem Schicksal zu stellen. Auch wenn das Leben Schmerz, Leid und manchmal auch Verzweiflung für uns bereithält, so lohnt es sich doch immer sich auf den Weg zu machen, nicht anzuhalten und aufzugeben. Alles, sei es auch noch so schwer für uns, hat seinen Sinn und diejenigen, die vertrauen, werden am Ende zu sich selber und in irgendeiner Form zu ihrem Glück finden.

 

„Vertrauen ist eine Oase des Herzens, die von der Karawane des Denkens nie erreicht wird.“ (Khalil Gibran)

 

Fazit:

 

Wer sich auf „Im Reich der Verborgenen – Spiegel der Erkenntnis“ einlässt, wird einer märchenhaften Geschichte folgen, die zugleich tief bewegt, oft sehr nachdenklich stimmt, aber vor allem zum Träumen verleitet. Man merkt diesem Roman an, dass Mehliqas Persönlichkeit in ihre Geschichte geflossen ist und mit all ihrer Liebe geschrieben wurde. Auf großartige Weise schlägt sie eine Brücke zwischen den Kulturen, die besonders in der heutigen Zeit so wichtig ist und manchmal fragt man sich beim Lesen, wie viel Wahrheit wirklich hinter der Geschichte steckt. Ich kann nur jedem empfehlen dieses wunderbare Buch zu lesen und sich in seine traumhafte Welt entführen zu lassen. Ich bin jetzt noch sehr berührt.