Rezension

Ein kleines Städtchen in Irland ...

Die Gesichter der Wahrheit - Donal Ryan

Die Gesichter der Wahrheit
von Donal Ryan

Bewertet mit 5 Sternen

        Eine einfache und tief bewegende Geschichte. Ein Buch über ein fast belangloses Leben, vom ersten bis zum letzten Tag auf nur 240 Seiten, aber so intensiv erzählt, dass ich mich der Geschichte nicht mehr entziehen konnte. Sie, die Geschichte ist schnell erzählt: Bobby's Vater lebt immer noch die Straße runter und am Wehr vorbei in dem Häuschen, in dem er aufgewachsen ist. Er geht jeden Tag hin, um zu sehen, ob er tot ist, und jeden Tag enttäuscht er ihn. Es ist noch kein Tag vergangen, an dem er ihn nicht enttäuscht hat. Ein fleißiger, ein Kämpfer der sich nie aufgibt, zwar mit dem Schicksal hadert aber sich nicht von ihm zerstören lässt. Es begann mit Wohlstand und satter Zufriedenheit und endet mit Entführung und Mord. Was dazwischen liegt, sind einundzwanzig Leben, einundzwanzigmal Hoffen und Träumen, Lieben und Leiden – einundzwanzig Menschen, die im Strudel der irischen Finanzkrise ihre Wahrheit erzählen – und das Geschick eines ganzen Landes. In den Nachwehen des finanziellen Zusammenbruchs gab es gefährliche Spannungen an der Oberfläche in der irischen Stadt und es entfaltet sich eine authentischen Geschichte. "Die Gesichter der Wahrheit" spricht für das zeitgenössische Irland wie kein anderer Roman. Er artikuliert sehr verletzlich und allzu menschlich, in Sprache und Geist des ländlichen Irland und mit unheimlicher Wahrnehmung, die Worte und Gedanken von einer Generation. Dieser Roman der kleinen Stadt ist lebendig, witzig und süß, ergreifend, bewegend und wunderbar geschrieben.  Mit faszinierendender Klarheit erzählt uns Donal Ryan von diesem Leben, von den Höhen und Tiefen, vom Gewinnen und Verlieren, von Familie und Freundschaft und von der Liebe - auf eine Art und Weise, die zutiefst beeindruckt und noch lange nachwirkt. Das erstaunliche an diesem Buch ist, dass  Donal Ryan es geschafft hat, ein völlig durchschnittliches Leben mit all seinen Höhen und Tiefen so in Worte zu fassen, dass man am Ende einfach tief bewegt ist vom Leben und seinen Machenschaften. Ein stilles Buch, das zu Herzen geht und das eigene Schicksal für einen Moment in den Hintergrund treten lässt. Eine melancholische Geschichte großartig erzählt. In die Ruhe der Schilderungen kann man leicht abtauchen. Als großer Erzähler verbindet Ryan Entwicklung und Wohlstand mit dem Wortsinn von „Stille“ und „ Gelassenheit“ zu einem wunderbaren Roman. Mit wenigen, einfachen Sätzen wird hier ein ganzes Leben, ein persönliches Universum beschrieben. Tief bewegender Lesegenuss. Große Literatur schlichtweg großartig! Ein literarisches Kleinod!