Rezension

Ein Krimi mit viel Atmosphäre

Das Haus der verlorenen Seelen - Britta Bolt

Das Haus der verlorenen Seelen
von Britta Bolt

Bewertet mit 4.5 Sternen

~~Pieter Posthumus scheint ein besonderer Mensch zu sein. Mitfühlend, sensibel und die Würde jedes Menschen achtend. Das prädestiniert ihn für seine Arbeit im Amt für einsame Tote, sich um Verstorbene ohne Familie zu kümmern, ihren Nachlass und ihre Bestattung zu organisieren.
Er ist in Amsterdam zuhause, in einem der alten Viertel, die bedrängt von den Touristenströmen, Billiglokalen, Coffeeshops und der Sexindustrie versuchen noch ein vielseitiges städtisches Leben aufrecht zu erhalten. Aber es droht schon die Gentrifizierung. Noch kennt man sich, man schätzt sich und trifft sich gern im „Dolle Hond“ auf einen Kaffee oder ein Glas Bier. Die Wirtin Anna, ist eine langjährige Freundin, eine spontane, herzliche Frau, die zumindest nach außen stark und unerschütterlich wirkt.
Bis eines Tages Marloes Vermolen laut um Hilfe schreit. Marloes ist eine mehr als exzentrische Frau, die im ererbten Haus der Eltern, verlorenen Seelen, die sie auf dem Straßenstrich oder aus der Drogenszene aufliest, eine Heimstatt und Sicherheit gibt. Sie finden Marloes über die blutüberströmte Leiche des jungen Zig gebeugt, einer ihrer geretteten Schützlinge.  Es ist Pieter Posthumus, dem einige Ungereimtheiten auffallen und auch Parallelen zu einem Todesfall seines Amts, die er der Polizei mitteilt. Nicht ahnend, dass er damit Marloes belastet.
Voll Entsetzen stellt Anna fest, dass Marloes angeklagt wird, die engagierte Anwältin agiert glücklos und eher kontraproduktiv, also bittet sie PP nach 7 Monaten nun doch zu ermitteln und in den wenigen verbleibenden Tagen bis zur Verurteilung noch Marloes Unschuld zu beweisen.
Das Buch ist wirklich ein außergewöhnlicher Kriminalroman, atmosphärisch sehr dicht, mit einer Sympathie zur Stadt Amsterdam und seinen schäbig-lebendigen Vierteln, die sich gleich auf den Leser überträgt. Die Figur des Pieter ist erstaunlich, keiner der üblichen Ermittler, Polizisten oder Schnüffler, sondern ein leiser, in sich gekehrter Mensch, mit viel Empathie für seine Mitmenschen. Auch das übrige Personal des Buches ist fein gezeichnet, mit Menschenkenntnis und Tiefe. Ob es nun Cornelius – der Mann mit dem verschluckten Wörterbuch – oder die wilde, herzliche, verrückte Marloes ist, oder Anna, die Wirtin, die wenn sie sich eine Sache zu Eigen macht, auch schon mal übers Ziel hinausschießt – das sind alles sehr menschliche, kraftvolle Charaktere.
Das Buch ist vor allem eine Milieustudie, die Krimihandlung wird etwas in den Hintergrund gerückt, sie war mir auch mit einzelnen Nebenfiguren zu  überfrachtet. Störend fielen mir die vielen Erwähnungen und Namen aus dem ersten Buch auf, die für mich Neuleser verwirrend waren. Ich habe immer auf die Verbindung zu diesem Fall gewartet, aber es kam nichts. So wie auch manche Verdachtsmomente versickerten. Die Spannung wird nicht immer gehalten, es gibt zu viel Leerlauf.  Zum Schluss kommt es noch zu einer großen Erklärungsszene im wiedereröffneten „Dolle Hond“, als den Gästen, und damit auch den Lesern die einzelnen Spuren zur Lösung zusammengefasst werden. Da finde ich mich als Leser immer unterschätzt.
Als Kriminalroman hat das Buch nicht ganz meine Erwartungen erfüllt, aber die Beschreibung der Stadt, der Viertel und ihrer Bewohner, hat es mich gut unterhalten. .