Rezension

Ein Land vor unserer Zeit

Urwelten -

Urwelten
von Thomas Halliday

Bewertet mit 5 Sternen

"Landschaften zu betrachten, die vor langer Zeit existierten, weckt die Lust auf Zeitreisen." (S. 23)

Thomas Halliday ist Paläontologe. Das heißt, er erforscht ausgestorbene Tiere und Pflanzen unterschiedlichster Erdzeitalter. In seinem Sachbuch nimmt er uns bis zu 550 Millionen Jahre zurück in die Vergangenheit, sozusagen in ein Land vor unserer Zeit - oder besser gesagt sogar in 16. Denn in insgesamt 16 Kapiteln erzählt er uns von 16 einander noch so unterschiedlichen Erdzeitaltern sowie deren Vegetationen und Lebewesen, schickt uns Leser dabei immer weiter zurück in die Vergangenheit unseres blauen Planeten, in Urwelten, die Eine noch faszinierender als die Andere. Halliday berichtet, wie die Welt über ihre Zeitgeschichte hinweg fortlaufend durch Gletscher, globale Eiszeiten, vulkanische Aktivitäten, Hitzeperioden und Meteroiteneinschläge geformt wurde. Er berichtet davon, wie sich die Erde durch tektonische Verschiebung aufwirft und Gebirge faltet, wie sie erschafft und zerstört, wie Leben konserviert wird und uns abermillionen Jahre später noch häppchenweise Hinweise darüber serviert, wie sie vor unserem ersten Erscheinen auf der Bildfläche aussah. Einige Welten muten vertraut an, andere klingen beinahe zu fantastisch, um real zu sein. Die Reise reicht bis vor die Entstehung von Gräsern, bis vor die ersten Blütenpflanzen. Dorthin, wo die Wälder noch still waren und nur Wind, Wasser und der Klang von Insektenflügeln hörbar war - da die Singvögel noch gar nicht existierten.
Wir sind dabei, wie neue Ökosysteme entstehen, wie Lebewesen gänzlich neue Welten für sich entdecken, etwa mittels Inselflößen (Baumstämme oder Küstenabbrüche), die Monate lang den Atlantik überqueren.
Gleichzeitig macht Halliday auf die Grenzen der Forschung aufmerksam, ruft uns ins Gedächtnis, wie viel wir eigentlich immer noch nicht wissen und womöglich auch nie erfahren werden; schildert uns dabei von unerklärlichen Lücken im Fossilbericht, die selbst Forscher zuweilen an Über- oder Unnatürliches glauben lassen.

Das Buch ist faktengesättigt, bringt diese in zwar anspruchsvoller, mitunter auch poetischer Sprache jedoch weitestgehend ausgesprochen bildlich und verständlich rüber. Zuweilen können wir quasi actionreichen Szenen zwischen Dinosauriern auf Futtersuche und bei Kräftemessen beiwohnen. Oder auch einem Flugsaurier beim Gleiten über eine abendrote Lagune zusehen - und dabei, wie er in einem unvorsichtigen Moment durch einen schwarzen Schatten, der im Meer auf seine Chance gelauert hat, aus der Luft gegriffen wird. Diese Verbildlichungen geben dem Buch zwischendurch immer wieder einen epischen Charakter, der die Faktenflut auflockert. Ergänzt wird das Buch außerdem durch Illustrationen jeweiliger Urwelt-Bewohner und Kartografien der jeweiligen Zeit, die Aufschluss über das Aussehen der entsprechenden Welt geben.

Hin und wieder mal zwischendurch, aber vor allem im Epilog, versucht der Autor aufzuzeigen, was wir aus der Erdgeschichte in Bezug auf den heutigen Klimawandel mitnehmen können. Dass wir in der Lage sind, durch Blicke in die Vergangenheit zu lernen, angeeignetes Wissen zu nutzen und daraus Hoffnung zu ziehen. Auf jedes Massensterben in der Erdzeit folgte neues Leben in einer ganz anderen, prachtvollen Vielfalt, so als ob die Erde einen Reset macht. Doch die Ökosysteme sind fragil, und "was [...] existiert, kann immer nur von dem kommen, was vor ihm da war" (S.222). Die Frage ist nur, ob wir Menschen daran Teil nehmen werden, oder ob die Erde ihren Neustart irgendwann ohne unsere Spezies macht. Zweifelsfrei beeinflusst das noch so ferne Gestern unsere Gegenwart - und wir selbst letztendlich unsere Zukunft. Ich hatte nicht wenige "aha"-, "oh"- und "wow"-Momente, und ich glaube das fasst es ziemlich treffend zusammen. Wärmste Empfehlung von mir!