Rezension

EIn Must read Buch!

Ficken sag ich selten - Olaf Blumberg

Ficken sag ich selten
von Olaf Blumberg

Mit eigenen Worten ..
Man sollte sich mal vorstellen, wie es wäre, wenn man durch die Stadt laufen würde und ganz plötzlich fängt der eigene Körper an zu tun was er gerade möchte. Vielleicht möchte er gerade mit den Armen ausschlagen, vielleicht schreit er ganz laut "Arschloch". Wie würde man sich fühlen?
Tourette ist eine Erkrankungen bei der die Betroffenen willkürlich vokalen und motorischen Tics ausgesetzt sind, die man nicht abstellen kann. Olaf Blumberg ist einer von vielen Betroffenen und beschreibt in seinem Buch seine Erfahrungen und seinen Lebensweg mit Tourette.

Wirkung
Ich finde das Cover sehr gut gestaltet, weil es einfach gehalten ist mit den Sprechblasen, in denen sowohl der Autorenname als ich der Titel untergebracht ist. Ich finde, dass das ein sehr harmonisches Bild auf dem beigen Untergrund gibt. Durch die Überlappung der Sprechblasen kommt es mir so vor, als würden alle durcheinander reden und so ist es ja irgendwie auch bei Tourette, der Körper redet einem einfach daszwischen. Den Titel finde ich super gewählt, weil er auch im Buch vorkommt und meiner Meinung nach auch eine sehr bezeichnende Stelle ist.

Meine Meinung
Olaf Blumberg hat einen sehr einfühlsamen und mitreißenden Schreibstil, der es sehr leicht macht ihm und seiner Geschichte zu folgen. Es beginnt damit, dass er joggen ist und aufeinmal bellen muss wie ein Hund. Natürlich kann er sich dieses Verhalten bei sich nicht erklären, denn er wollte es gar nicht. Nach einiger Zeit steht die Diagnose fest: Tourette.
Olaf beschreibt nicht nur einfach seine verschiedenen Tics, sondern er schildert seinen Alltag und wie er versucht mit den Tics umzugehen. Es wäre alles halb so schlimm, wenn es nur die Tics wären, die ihn beeinträchtigen, viel schlimmer sind die Menschen, die auf die Tics reagieren. Er muss Angst haben verprügelt zu werden, ständig wird er ausgelacht oder schief angeguckt. Er beschreibt diese Gefühle mit solcher Intensität, dass ich sie selber spüre. Ich verspüre Scham, als er beschreibt, dass er Leute auf offener Straße beschimpft und es gar nicht will, aber ich verspüre auch Freude, wenn er sich darüber freut, dass ihm etwas gutes passiert.
Ich habe mit diesem Buch nochmal einen tieferen Einblick in das Leiden von Tourette-Erkrankten bekommen. Ihre Einschränkungen beziehen sich auf ihr komplettes Leben, sei es das Studium, einfaches telefonieren oder in schweren Form, wie bei Christian Hempel (der auch namentlich im Buch genannt wird) sich einfach selber zu versorgen und zB.: Brote zu schmieren.
Ich glaube man kann sich einfach nicht vorstellen, was es heißt ständig mit dieser Anspannung zu leben und sich für solche Bemerkungen und Gesten, die man selber nicht einmal anführen will, immer und immer wieder zu entschuldigen.
Das Einzige was mich an diesem Buch wirklich arg gestört hat, ist die Beschreibung der Ergotherapie in der ersten Klinik. Natürlich beschreibt der Autor sicherlich nur, was er selber erlebt hat, aber ich möchte  an dieser Stelle anführen, dass die nicht normale Ergotherapie ist, auch nicht in einer psychiatrischen Klinik, vor allem wird die Ergotherapie nicht von einer Schwester durchgeführt (normalerweise), sondern von einer Therapeutin, die sich auch wirklich etwas bei der Behandlung denkt. Im Normalfall bekommen die Patienten nicht einfach ein Blatt Papier vor die Nase gesetzt und dann sollen sie malen, es wird auf jeden Patienten individuell eingegangen. Schade, dass das in Büchern oftmals falsch dargestellt wird.

Zitat
""Du meinst eine Behinderung?", fragte ich trotzig zurück. "Ja, aber das heißt jetzt Beeinträchtigung. Um die Leute nicht zu beleidigen. Das kann schon manchmal sinnvoll sein. Manche sagen sogar: die anders Begabten." Ich lachte laut auf. Anders begabt? Wenn Tourette als Krankheit bekannter wurde, dann durfte man vielleicht auch bald nicht mehr Tourette-Patient sagen, sondern nur noch: Menschen mit anderer Motorik. Oder: Menschen, die es nicht so meinen."
-Aus "Ficken sag ich selten" von Olaf Blumberg-

Bewertung
Meine Hochachtung {sehr facettenreich und ehrlich}
Ich muss sagen, dass ich wirklich gerne solche Bücher über Krankheitsgeschichten lese, weil es mich einfach den betroffenen Menschen näher bringt. Olaf Blumberg hat es mit seinem Werk geschafft, dass ich mich noch intensiver mit diesem Thema auseinander setzen werde. Ich denke jeder sollte dieses Buch lesen, einfach um ein Verständnis für die Betroffenen zu bekommen, um zu verstehen wie sehr man leidet, wenn man nicht unterdrücken kann, was sich in der Öffentlichkeit nicht gehört, um zu verstehen, dass Tourette eine Krankheit ist. Olaf Blumberg beschreibt die verschiedensten Bereiche seines Lebens und seinen Werdegang erst gegen und dann mit der Krankheit. Ich bin wirklich begeistert von diesem Buch!