Rezension

Ein penibel recherchierter hist. Roman

Hochzeit in Wien -

Hochzeit in Wien
von Marianne Philips

Bewertet mit 4 Sternen

Die Goldene Hochzeit des Hausbesitzerehepaares Johannes und Resi Hodl in der Wiener Luftbadgasse 12 bildet die Rahmenhandlung dieses historischen Romans der Autorin Marianne Philips (1886 – 1951), die das Haus und die unmittelbare Umgebung bei einem dreimonatigen Wienaufenthalt kennengelernt hat, weil sie dort gewohnt hat.

 

In diesem typischen Winer Zinshaus leben die unterschiedlichsten Menschen. Zunächst einmal das saturierte Hausbesitzerpaar Hodl mit seinen erwachsenen Kindern, die beiden verarmten ehemaligen Gräfinnen Paula und ihre Tochter Lili, von Wernizek-Bolnanyi, die kaum mehr ihr Leben fristen können. Daneben kann Fräulein Goldös, Hauptkassiererin in einem traditionsreichen Kaufhaus, die durch die Heirat mit dem Otto Wernizek-Bolnanyi, dem zufällig auf Besuch kommenden Verwandten der Gräfinnen, dem Elend in Wien entrinnen. Die einst berühmte Sängerin Maria Ritter ist ohne Engagement und besucht die ehemalige Stätte ihrer Wirkung auf dem Stehplatz und drängt den menschenscheuen Musikstudenten Paul Wolùk auf der Goldenen Hochzeit zu musizieren.

 

Ein besonderer Mitbewohner ist auch der Tempelschreiber Meyer Jonathan, dessen Enkel Daniel, ein Jura-Student, von der Polizei verhaftet wird. In diesen beiden Figuren offenbart sich der immer stärker werdende Antisemitismus und Faschismus der Stadt.

 

Alle diese Hausbewohner treffen sich auf dem Fest des goldenen Hochzeitspaares.

 

Meine Meinung:

 

Marianne Philips hat während ihres dreimonatigen Aufenthalts in Wien die Menschen der 1930er-Jahre sehr genau beobachtet. Die Wahl von Hitler zum Reichskanzler löst bei ihr eine Schreibblockade aus, sodass sie ihren Roman mehrere Monate nicht weiterführen kann. Sie wird Friedensaktivistin und hilft Juden und Kommunisten. Ein Teil dieser Aktivitäten sind in die Figur des Daniel Jonathan eingeflochten.

 

Marianne Philips muss während der Besetzung der Niederlande durch die Nazis untertauchen. Über diese Zeit wird sie nie sprechen. Sie stirbt 1951 nach jahrelangem Leiden an einer schweren Form von Arthritis.

 

Wo liegt es nun das Haus Luftbadgasse 12 und was ist so besonders an dem Haus? Das Haus liegt im 6. Wiener Gemeindebezirk zwischen Naschmarkt und Esterházy-Park. Es stammt ursprünglich aus dem 18. Jahrhundert. Es ist ein typisches Zinshaus in der damaligen Vorstadt mit Pawlatschen und einem Salettl im Innenhof. Die Gasse wurde 1862 nach dem ersten Wiener Heilluftbad, dem in unmittelbare Nähe gelegenen „Esterházybad“ benannt. Zuvor hieß die Gasse ziemlich zutreffend „Obere Gestättengasse“, denn die Gasse ist eine Sackgasse. Das Esterházybad existierte übrigens bis 1982, dann wurde es abgerissen. Ich bin auf meinem Weg in Grundschule an der Luftbadgasse vorbeigekommen.

 

Das Coverbild zeigt leider nicht die Luftbadgasse, sondern gewährt einen Blick auf die Mariahilfer Straße, ein Stück weiter stadteinwärts. Es passt aber dennoch ganz gut, denn das Fräulein Goldös arbeitet beim „Korngross“, einem der Traditionskaufhäuser auf der Mariahilfer Straße, das Einheimische sofort als „Gerngross“ identifizieren. Das größte Wiener Kaufhaus ist schon zu Beginn der 1930er-Jahre Ziel antisemitischer Angriffe.

 

Der Schreibstil wirkt ein wenig antiquiert, da das Buch nur ganz behutsam der neuen Rechtschreibung angepasst worden ist. Allerdings kann dies auch an der Übersetzung liegen. Zahlreiche typisch wienerische Ausdrücke werden gebraucht. Deshalb kommt auch die beklemmende Stimmung sehr gut zur Geltung und lässt de Zustände im Haus Luftbadgasse 12 bildhaft auferstehen.

 

Fazit:

 

Gerne gebe ich diesem Bild der 1930er-Jahre 4 Sterne.